Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
wenn sie ihre Gedanken ausstreckte, um mit dem Geschöpf in Verbindung zu treten, schien es nichts von seiner eigenen Identität zu wissen. Auch das verworrene Durcheinander einfacher Vogelbilder in seinem Gehirn ergab wenig Sinn für sie. Gewiß, das Tier war immer noch sehr wild – sie hatte es nicht einmal dazu bewegen können, ihr in die Enge der Nachtfahrerquartiere zu folgen. Wann immer sie jedoch hinauskam, wartete es auf sie und klammerte sich mit wilder Treue an sie. Aus irgendeinem Grund schien es auch das Windauge besonders zu mögen, aber jeder Gedanke, daß das Tier sich vielleicht einfach zur Magie hingezogen fühlen könnte, wurde von der Tatsache zunichte gemacht, daß der Bussard D’arvan mit absoluter Gleichgültigkeit behandelte.
Auch Shia war sich unsicher gewesen. »Ich hoffe um unser aller willen, daß du recht hast, Aurian«, sagte sie zweifelnd, »aber bist du sicher, daß deine Hoffnungen dich nicht in die Irre führen? Für mich sieht er einfach aus wie ein Vogel.«
Der einzige, mit dem Aurian nicht über den Bussard gesprochen hatte, war Forral. Sie hatte nicht nur darauf verzichtet, ihm von ihrem Verdacht zu erzählen, sondern hatte auch D’arvan und Chiamh zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. D’arvan hatte sie nach dem Grund gefragt. »Sieh mal«, erklärte sie ihm, »wenn ich in dieser Sache recht habe, wird es Forral nur aufregen und verwirren – und zwar mit gutem Grund –, wenn er erfährt, daß Anvar immer noch auf irgendeine Art und Weise gegenwärtig ist, jeden unserer Schritte beobachtet und darauf wartet, sich seinen Körper zurückzuholen. Wenn ich mich irre, dann würde Forral sich ganz ohne Grund aufregen.« Damals hatte ihre Erklärung überaus plausibel geklungen.
Alles in allem war es gut gewesen, einmal aus den Nachtfahrerhöhlen herauszukommen und der beängstigenden Mischung von Persönlichkeiten zu entrinnen, die während dieser letzten Tage zusammengeführt worden waren. Die Frage, was man gegen den Hunger des Todesgeistes unternehmen konnte, wurde immer drängender, und der Tod eines Menschen schien unvermeidlich. Die Magusch mußte sich eingestehen, daß Forral vielleicht doch recht gehabt hatte – daß es vielleicht ein schwerer Fehler gewesen war, den Geist mitzunehmen. Und was Wolf betraf – der zeigte sich seiner Mutter zwar nicht mehr direkt feindselig, aber doch sehr gleichgültig, und er verbrachte viel Zeit mit Zannas Söhnen. Iscalda meinte, ihm fehle Currain, der wie ein jüngerer Bruder für ihn gewesen war. Sehr zum Kummer des Schwertkämpfers widersetzte sich Wolf den Beteuerungen, daß Forral sein Vater sei. »Du kannst nicht mein Vater sein – der ist tot«, beharrte Wolf.
Aber es gab auch bessere Neuigkeiten. Vannor schien sich dank der entschlossenen Pflege Dulsinas und Zannas langsam zu erholen; die beiden Frauen versuchten ihm unabläßlich klarzumachen, daß es sinnlos war, sich wegen vergangener Fehler zu grämen, und daß er besser mit positiven Taten Buße tun sollte. An diesem Morgen war Forral mit Parric hinausgekommen, um herauszufinden, was die Magusch im Schilde führte. Der Schwertkämpfer war sehr bleich geworden, als er Aurian auf Chiamhs Rücken Seite an Seite mit Schiannath und Iscalda über den Himmel jagen sah. Auf Aurians Drängen hin hatte Forral sich jedoch schließlich überreden lassen, für einen Probeflug auf Schiannaths Rücken zu steigen, und bei seiner Rückkehr hatte er die Magusch freudestrahlend und außer sich vor Begeisterung in die Arme geschlossen. »Bei Chathak, Mädchen – was für eine unglaubliche Erfahrung! Ich hätte nie gedacht, daß ich den Tag erleben würde …«
»Hast du auch nicht«, warf Parric trocken ein und schlug dem Schwertkämpfer hastig auf den Rücken, um seinen Worten den Stachel zu nehmen. Der Kavalleriehauptmann war in bester Laune. Im Gegensatz zu Forral hatte man ihn nicht lange überreden müssen, auf Iscaldas Rücken zu fliegen, und nun war er fest davon überzeugt, daß dieses Erlebnis die Krönung seines Lebens gewesen war.
An diesem Abend nahmen die Magusch und ihre Gefährten mit Zanna und ihrer Familie sowie mit Emmie und Yanis ihr Essen in Emmies Quartier ein, um die Rückkehr des Nachtfahreranführers zu feiern, dessen Schiff am Nachmittag angelegt hatte (und der, gelinde gesagt, äußerst überrascht war, daß Pferde um seinen Mast herumflogen, als er sich dem Land näherte).
Grince hatte nur Augen für Aurian, die ihm gegenüber auf der anderen Seite
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