Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
sehe ich bei Grince die Anzeichen deshalb so deutlich, weil ich auch in dich verliebt bin.«
»Du dummer Kerl.« Aurian schüttelte den Kopf. »Also ehrlich – du mußt mit dem Alter weich geworden sein. Wenn irgend jemand diese Worte aus dem Mund des weltgrößten Schwertkämpfers hören könnte, wäre dein Ruf für alle Zeit ruiniert.« Sie lächelte ihn liebevoll an und streckte die Hand aus. »Hör auf, Unfug zu reden und komm ins Bett.«
Chiamh zog seine Kleider aus und warf sie ungefähr in die Richtung, in der der Stuhl stand, dann schlüpfte er hastig zwischen die Decken seines einsamen Bettes. Nachdem er einige Augenblicke gezittert hatte, war er endlich warm genug, um sich ein wenig zu entspannen. Dann ließ er sich wie immer tief in sein Kissen sinken und überließ sich der Andersicht. Nachdem er einen zarten Faden Zugluft gefunden hatte, begann er ihm zu folgen, sandte sein Bewußtsein durch die winzigen Risse und Spalten im Gestein und fand den mittlerweile vertrauten Weg zu Aurians Quartier. Dies war das allnächtliche Ritual des Windauges. Er blieb nicht lange – es wäre ihm falsch und unehrlich erschienen, der Magusch nachzuspionieren, während sie schlief. Nein, er machte sich einfach Sorgen um sie und wollte sie beschützen, jetzt, da Anvar von ihrer Seite gerissen worden war. Immerhin war sie seine liebste Freundin – was könnte da natürlicher sein? Chiamh würde einfach einen Augenblick verweilen und eine Ranke seines Bewußtseins aussenden, um ganz sanft ihr schlafendes Gesicht zu berühren. Erst dann konnte er in sein einsames Bett zurückkehren und den verdienten Schlaf finden.
Heute nacht stellte er fest, daß die Magusch neben Forral schlief, so wie sie es in den letzten Nächten auch getan hatte. Obwohl er wußte, daß es Aurian für den Augenblick gelungen war, ihre Gefühle zwischen der alten Liebe und der neuen miteinander in Einklang zu bringen, hatte er selbst doch gewisse Zweifel, was diesen Eindringling betraf, der Anvars Körper gestohlen hatte. Als er die beiden zusammen sah, spürte Chiamh plötzlich, daß er vor Eifersucht brannte. Entsetzt über die Intensität seiner Gefühle, floh er mit einem lautlosen, unwilligen Aufschrei in seinen Körper zurück.
Die Gedanken des Windauges waren in solchem Aufruhr, daß er irgendwo eine falsche Biegung nahm, und sein Bewußtsein tauchte nicht wie erwartet in seiner Schlafkammer auf, sondern in der Haupthöhle. Und was er dort sah, verscheuchte augenblicklich alle Gedanken an die Magusch! Die Nachtwächter lagen an verschiedenen Plätzen – tot. Fremde Soldaten drangen in die Höhle ein. Sie alle trugen identische, schwarze Uniformen und ihre Augen blitzten wie kalter Stahl. Chiamh wollte gerade Alarm schlagen, als er begriff, daß er sich außerhalb seines Körpers befand und keine Stimme besaß. Auf der Stelle machte er kehrt und floh über denselben Weg zurück, den er gekommen war.
Ein furchtbarer Aufruhr im Korridor riß Zanna aus einem tiefen Schlaf. Sie hörte Rufe und Schreie, und eine der Schiffsglocken läutete Sturm. Tarnal sprang aus dem Bett. »Hol die Jungen«, rief er. »Man hat uns überfallen.«
Zanna hatte sich noch nie in ihrem Leben so schnell angekleidet. Sie warf ihre grobe Matrosenkleidung über, sprang in ihre Stiefel und rannte ins Kinderzimmer. Die Jungen waren bereits wach und hatten sich zusammen mit Wolf in ein einziges Bett geflüchtet. Nun spähten sie mit vor Schmerz weit aufgerissenen Augen hinter einer Barrikade aus Bettdecken hervor. »Mama, was ist passiert?« fragte Valand. Martek, der nun eine Quelle des Trostes im Raum wußte, begann zu weinen.
Zanna hielt es nicht für richtig, ihren Sprößlingen die Realitäten des Lebens vorzuenthalten – sie waren schließlich Nachtfahrer. »Böse Soldaten greifen uns an«, sagte sie rauh. »Steht schnell auf und zieht euch an – wir müssen sofort von hier weg.«
Valand gehorchte ihr ohne ein weiteres Wort, und Zanna eilte ihrem jüngeren Sohn zur Hilfe. Martek schniefte noch immer, als sie ihn in seine Kleider zwang. Zanna kniete neben ihm nieder und legte beide Hände um sein feuchtes Gesicht. »Martek, hör auf damit. Du willst doch Wolf nicht erschrecken, oder? Wir müssen jetzt zu den Schiffen laufen, in Ordnung? Dort werden wir in Sicherheit sein.«
Das Kind biß sich auf die Unterlippe und nickte.
»Braver Junge«, sagte Zanna zu ihm. Dann nahm sie ihn auf die Arme und bedeutete Valand, vorauszugehen.
Tarnal stand, sein Schwert
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