Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
in der Hand, bereits an der Tür. »Ich kann sie in der Ferne kämpfen hören, aber vor unserer Tür scheint alles in Ordnung zu sein. Wir sollten besser gehen, solange wir noch können.«
Zanna nickte. »Valand«, sagte sie, »du nimmst den Zipfel meines Umhangs. Halt dich gut fest – und was auch passiert, laß nicht los.«
Gemeinsam rannten sie durch den Korridor, und ihre Schritte hallten über den Steinboden. Als sie die Haupthöhle erreichten, ließ der Anblick des grauenhaften Gemetzels Zanna wie angewurzelt stehenbleiben. Kleine Gruppen von Schmugglern, von denen viele noch ihr Nachtzeug trugen, kämpften verzweifelt gegen gut ausgerüstete Berufssoldaten. Mit einem Beben des Entsetzens erkannte Zanna die schwarzen Uniformen von Pendrals Truppe. Die Soldaten schienen überall zu sein. Der Strand war mit den Leichen von Männern, Frauen und sogar kleinen Kindern übersät; der weiße Sand war mit ihrem Blut gefärbt. Noch während Zanna wie gebannt vor Entsetzen dastand, drängten sich weitere Soldaten durch den schmalen Tunnel des landeinwärts gelegenen Eingangs.
»Kommt weiter!« Tarnal riß Zanna aus ihrer Benommenheit. »Wir müssen auf die Boote!« Dann schwang er wie ein Besessener sein Schwert und stürzte sich in die brodelnde Masse der Kämpfenden.
Man hatte den drei Xandim Räume im hinteren Teil des Nachtfahrerverstecks zugewiesen. Ihre Zimmer waren die einzigen in einem kurzen Korridor, der von dem Haupttunnel abzweigte und in einer Sackgasse endete, und als die Kampfgeräusche an ihr Ohr drangen, war es bereits zu spät.
Iscalda hatte das blaue Gewand, das Zanna ihr geschenkt hatte, aufgehängt und bürstete gerade ihr langes, flachsblondes Haar, als sie den Tumult draußen zum ersten Mal wahrnahm. Fast gleichzeitig hämmerte jemand an ihre Tür. Als sie öffnete, stand das Windauge zerzaust und nur halb bekleidet vor ihr. »Bewaffne dich«, stieß er hervor. »Wir werden angegriffen!«
Bevor sie Zeit zu einer Erwiderung fand, war er auch schon fort und trommelte an Schiannaths Tür. Iscalda streifte sich Hemd und Hosen über und ergriff das neue Schwert, das die Nachtfahrer ihr freundlicherweise überlassen hatten. Als sie das Zimmer verließ, erkannte sie ihren Bruder, der, ebenfalls bewaffnet und angekleidet, aus seinem Zimmer trat – und sie sah auch einen Trupp Soldaten um die Ecke der Flurkreuzung biegen. Eisige Furcht durchschoß Iscalda, als ihr klar wurde, daß die Xandim hoffnungslos in der Minderheit waren und ihnen ihr einziger Fluchtweg versperrt war.
Aber dann zogen die Soldaten sich plötzlich fluchend und schreiend zurück. Chiamh folgte ihnen, und seine silbrigen Augen hatten sich vor Anstrengung zu Schützen verengt; er schlug sie mit der Vision eines grauenhaften Ungeheuers in die Flucht, das Iscaldas schlimmste Alpträume in den Schatten stellte. »Lauft«, schrie er. »Ich halte sie auf.«
Sobald der Weg frei war, flohen Schiannath und Iscalda an dem Windauge vorbei Richtung Haupthöhle. Iscalda warf hastig einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, daß Chiamh ihnen auch folgte; er mußte rückwärts laufen, um dem Feind ins Gesicht zu sehen und seine furchterregende Vision aufrechtzuerhalten. Als sie die belebteren Bereiche der Höhlen erreichten, fanden sie die ersten Leichen in den Korridoren – es waren auch einige Soldaten dabei, aber die meisten der Toten waren Mitglieder der Nachtfahrergemeinschaft. An der Weggabelung vor ihnen tauchte ein weiterer Soldatentrupp auf, und Iscalda und Schiannath schritten Seite an Seite zur Tat; mit blitzenden Schwertern hieben sie für sich und das Windauge einen Weg durch die feindlichen Reihen.
Alles ging gut, bis die Xandim den offenen Teil der großen Höhle erreichten, wo sich eine Gruppe zumeist älterer, erschrockener Schmuggler zusammengefunden hatte. Zu ihrem Entsetzen wimmelte es am Strand nur so von kämpfenden Gestalten, und das Kampfgeschehen versperrte ihnen den Ausgang. Iscalda und Schiannath warteten auf eine Lücke in dem Tumult und brachten die Nachtfahrer, die sich ihnen angeschlossen hatten, sicher durch den Eingang, aber Chiamh, der immer noch mit seinem Trugbild beschäftigt war, zögerte einen Augenblick zu lange. Als er sich umdrehte, wogte der Kampf gerade wieder in seine Richtung zurück, und ein Soldat prallte rückwärts gegen ihn. Die Konzentration des Windauges geriet ins Wanken – nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber das genügte. Die Soldaten, die den Xandim mit
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