Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
Nachtfahrerversteck hineinzuspazieren und seinen Anteil an der Beute auf sein neues Boot zu laden, bevor er sich auf den Weg zurück in die Stadt und zu einem neuen Leben voller Wohlstand machte. Aber mitanzusehen, wie Menschen, die er seit seiner Kindheit gekannt hatte, kämpfen mußten oder um ihr Leben rannten, um dann doch vor seinen Augen getötet zu werden, das war etwas ganz anderes.
Gevans Unbehagen hatte jedoch nur wenig mit Schuldgefühlen zu tun – wäre er nicht Zeuge dieses Massakers geworden, so sagte er sich, hätte er keine unangenehmen Erinnerungen zurückbehalten und viel leichter vergessen können, welche Rolle er bei der Zerstörung der Gemeinschaft gespielt hatte. Es war ohnehin nicht seine Schuld – Yanis war dafür verantwortlich. Gevan war seit dem Tod von Yanis’ Vater zunehmend unzufrieden mit den Nachtfahrern gewesen. Er war Leynards Stellvertreter gewesen, und soweit es ihn betraf, schuldete Yanis ihm allerhand – Vergünstigungen, Respekt, Aufmerksamkeit und den zusätzlichen Anteil an Plünderbeute, der ihm früher zugestanden hatte. Der neue Nachtfahrerführer hielt jedoch stur an seinen eigenen Vorstellungen fest – zu denen auch die Ansicht gehörte, daß er sein eigener Herr war, ganz gleich, was geschah; er war nicht geneigt, dem alten Gefährten seines Vaters die Leitung der Gemeinschaft zu überlassen, nur weil dieser ihm einige Jahre voraus hatte. Gevan hatte seinen Groll nun schon seit über zehn Jahren genährt, seit Leynards Tod, und sein Ärger hatte irgendwann ein eigenes Leben angenommen und war wie ein lebendiges Wesen von Tag zu Tag gewachsen.
Ungeachtet seiner Gier nach Wohlstand und Ansehen, hatte Gevan die Nachtfahrer in Wirklichkeit nur verraten, um sich an Yanis zu rächen, und das war auch der Grund, warum er seinen Zorn kaum im Zaum halten konnte, als er den Anführer entkommen sah. »Da läuft er! Der Anführer der Nachtfahrer! Haltet ihn auf – er entkommt euch!«
Dem Soldatentrupp, der ihm am nächsten stand, waren plötzlich die Gegner ausgegangen, und sie hatten sich am Strand versammelt, um die Leichen der Nachtfahrer nach Waffen, Schmuckstücken und Münzen abzusuchen. Gevan lief auf den nächstbesten zu und packte ihn am Arm. »Yanis flieht! Du mußt ihn aufhalten!«
Ohne Eile erhob sich der Krieger, zog sein Messer und rammte es Gevan in den Bauch, um die Klinge dann mit einem scharfen Ruck hochzureißen. Die Überraschung traf Gevan einen Augenblick vor dem Schmerz. Noch während er mit einem dünnen Schmerzensschrei zu Boden sank und vergeblich den Sturzbach seiner Eingeweide aufzuhalten versuchte, konnte er nicht glauben, was gerade passiert war.
Der Soldat spuckte aus, und der ehemalige Nachtfahrer spürte den warmen Speichel über sein Gesicht rinnen. Dann spürte er gar nichts mehr. Als Gevan immer tiefer in die Dunkelheit stürzte, folgte ihm die Stimme des Soldaten noch ein Stück des Weges. »Lord Pendral sagte, es würde eine Belohnung für denjenigen von uns geben, der dich aufspießt, sobald du uns hier reingebracht hast«, sagte er. »Warum soll sich ein anderer die Goldmünzen unter den Nagel reißen?«
D’arvan, der allein und hoffnungslos unterlegen war, hatte das einzig Vernünftige getan – er hatte sich und so viele Nachtfahrer, wie er in seiner Kammer unterbringen konnte, verbarrikadiert und seine Magie benutzt, um die Tür so zu verhüllen, daß sie wie ein Teil der Höhlenwand aussah. Zu seiner großen Erleichterung war einer der Sterblichen, denen er Zuflucht gewährt hatte, der alte Hargorn – Maya hätte es ihm nie verziehen, wenn er ihren ehemaligen Kampfgefährten hätte sterben lassen – was im übrigen nicht sehr wahrscheinlich gewesen wäre. D’arvan hatte den heftig protestierenden alten Soldaten aus dem dichtesten Kampfgewühl gezerrt, wo er es mit drei Soldaten gleichzeitig aufnahm, obwohl ihm das Blut aus einer langen, wenn auch nicht allzu tiefen Schnittwunde sickerte; einer seiner Feinde hatte ihn wohl mit der Spitze seines Schwertes am Arm erwischt.
Es dauerte lange, bevor sie es wagten, ihr Versteck zu verlassen. Hargorn, dessen Arm inzwischen verbunden worden war, beschimpfte den Magusch immer noch wegen seiner Einmischung, als sie plötzlich Schreie abgrundtiefen Entsetzens hörten und dann das Geräusch stampfender Schritte, die den Korridor hinunterkamen. D’arvan schauderte. Ihm fiel nur ein Grund ein, warum die Soldaten von solchem Grauen erfüllt sein sollten – und nur die Götter
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