Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
Von hier aus konnte er hinabblicken und praktisch ganz Nexis unter sich sehen, einschließlich der herrlichen Säulengänge der Großen Arkade, der klobigen Rotunde der Gildehalle und dem hohen Felsvorsprung, der einst das Heim der Magusch gewesen war. Die Akademie und der Felsen, auf dem sie ruhte, warfen einen langen Schatten, der wie eine in ein dunkles Leichentuch gehüllte Gestalt über die ganze Stadt fiel.
Zuerst glaubte Parric, dies sei ein Ergebnis von zuviel Bier. Andere Leute sehen Sterne, ich sehe dunkle Flecken, dachte er und rieb sich die Augen. Dann sah er noch einmal hin und betrachtete die kreiselnde Masse dunkler Punkte, die sich wie ein Bienenschwarm über der Akademie erhoben. Das Bild hatte etwas Vertrautes … Dann fiel es Parric wieder ein, und das Blut gefror in seinen Adern. Irgend jemand hatte den Zeitzauber von den in diesen schwarzen Gewölben gefangenen Greueln genommen, und die Nihilim schwärmten über Nexis aus!
Parric war nicht der einzige, der voller Entsetzen den Zug der Todesgeister beobachtete. Hoch über den nördlichen Mooren, ungefähr eine Meile von Nexis entfernt, stockte die glitzernde Schar von Phaeriekriegern mitten im Flug und zügelte entgeistert ihre Pferde, um mit magisch verstärkter Weitsicht zuzusehen, wie die Nihilim in ihrem wahnsinnigen Totentanz über der Stadt kreisten und dann auf die ungeschützten Straßen hinunterstürzten, um sich ihre Beute zu suchen.
Hellorin brachte sein Reittier neben D’arvans Roß zum Stehen. »Weißt du irgend etwas von diesen Vorgängen?« fragte er. »Du warst der letzte, der mit dieser Magusch geredet hat, der Tochter der Lady Eilin – und sie war die letzte, die sich unterhalb der Akademie aufgehalten hat, wo die Todesgeister gefangen waren. Was hat dieses verwünschte Weibsbild da auf uns losgelassen?«
D’arvan krallte die Fäuste in der Mähne des Xandimrosses fest. »Mir ist vollkommen unklar, wie das passiert sein kann. Aurian hat nur diesen einen Todesgeist befreit – denjenigen, der den Körper des armen Finbarrs geteilt hat. Aber vergiß nicht, der Todesgeist ist aus Wyvernesse geflohen, als ich dort wegging. Vielleicht hat er eine Möglichkeit gefunden, die anderen ebenfalls zu befreien.«
»Wahnsinn. Absoluter Wahnsinn«, schnaubte Hellorin. »Wo hatte sie bloß ihr Gehirn, als sie einen Todesgeist freiließ, um Tod und Entsetzen über die Welt zu bringen? So etwas Lächerliches ist mir überhaupt noch nie untergekommen. Typisch Magusch! Sich in alles einmischen und Schwierigkeiten machen, wo es nur geht!«
»Sie hatte ihre Gründe«, sagte D’arvan, »obwohl ich deiner Meinung bin – im Lichte dieser neuen Entwicklung mag es durchaus ein Fehler gewesen sein. Aber wie dem auch sei, unsere Hauptsorge ist jetzt die Frage, wie sich das auf unsere Pläne niederschlagen wird. Ich glaube wirklich nicht, daß Nexis heute nacht ein sehr gesunder Ort ist.«
»Ich glaube, wir sollten eine Weile hierbleiben und abwarten, was sie tun«, meldete sich Maya, die hinter D’arvan saß, zu Wort. »Schließlich sind wir weit genug weg, um sie kommen zu sehen und sofort die Flucht anzutreten, wenn sie diese Richtung einschlagen.«
»Wer hat dich gefragt, Sterbliche?«
»Scheint mir eine gute Idee zu sein.« Hellorin und D’arvan hatten gleichzeitig gesprochen und sahen sich nun mit finsterem Blick an.
»Du vergißt, mein Herr«, sagte Maya mit kalter Stimme zu Hellorin, »daß ich keine von deinen beschränkten, kleinen Zuchtstuten bin, die zu nichts anderem taugen, als den kostbaren Samen der Phaerie zu empfangen. Ich bin eine Kriegerin, und ich war früher stellvertretende Kommandantin der Garnison von Nexis. Ich weiß, wovon ich rede.«
»Maya hat recht«, sagte D’arvan. »Es wäre eine große Torheit, ihren Rat zurückzuweisen, nur weil sie eine Sterbliche ist.«
»Na schön«, antwortete der Waldfürst leichthin. »Schaden wird es wohl nichts.«
Die Zeit verstrich, und der Mond neigte sich dem Horizont zu. Selbst aus dieser Entfernung konnten sie die Schreie aus der belagerten Stadt hören. Maya drehte sich zu D’arvan um. »Ich bin mir jetzt nicht mehr ganz so sicher, ob das wirklich eine gute Idee war«, sagte sie leise. »Es ist schrecklich, hierbleiben zu müssen und zu hören, wie diese armen Menschen …«
»Sieh nur! Maya – sieh dir das an!«
Die Todesgeister verließen Nexis. Wie ein Wirbelwind von Herbstblättern erhob sich der große, schwarze Schwarm über die Stadt und verdüsterte den
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