Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara

Titel: Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
Vom Netzwerk:
sein gesunder Menschenverstand ihn im letzten Moment zurückhielt. Die Nachtfahrer galten bei den Behörden hier als Verbrecher. Wenn bekannt wurde, daß er von den Vorfällen in Wyvernesse wußte, würde es zumindest peinliche Fragen geben – wenn nicht Schlimmeres. Die wahrscheinlichste aller Möglichkeiten war eine stille Verhaftung und eine inoffizielle Hinrichtung. Nein – so schwer es ihm auch fiel, er mußte den Mund halten – zumindest bis Pendral tot war. In diesem Augenblick hatte der Kavalleriehauptmann keine Ahnung, wie er den Tod des Hohen Herrn zuwege bringen sollte, aber er beschloß, auf jeden Fall bis zum Morgen zu warten. Dann würde er sich einen Plan zurechtlegen – sobald er sich von den Kopfschmerzen erholt hatte, die er sich heute nacht redlich zu verdienen beabsichtigte.
    Der Abend verlief ziemlich genauso, wie der Kavalleriehauptmann es sich ausgemalt hatte. Die Stunden verflogen in einem Rausch guten Essens und guten Bieres. Später dann, als ein paar Humpen ihn zugänglicher gemacht hatten, brauchte er auch nicht mehr allein zu trinken. Tatsächlich schienen im Handumdrehen schon alle nach Hause gehen zu wollen. »Geh noch nicht«, sagte Parric und hielt einen stämmigen Zimmermann am Ärmel fest. »Ihr könnt doch nicht schon alle gehen. Es ist noch so früh! Genug Zeit für noch einen …«
    »Du kriegst ganz bestimmt keinen mehr.« Parrics neuer Freund hatte sich irgendwie in Hebba verwandelt, die nun mit einem Besen in der Hand vor ihm stand. Ihr rundes, gerötetes Gesicht hatte einen rebellischen Ausdruck angenommen.
    »Aber ich bin doch ein alter Freund vom alten Hargorn«, protestierte der Kavalleriehauptmann. »Alter, alter Freund …«
    »Hargorn würde sich mit jedem menschlichen Auswurf anfreunden, der ihm eine traurige Lebensgeschichte auftischt – und außerdem ist er nicht hier. Du hast es jetzt mit mir zu tun. Na los, du – verschwinde endlich. Hast du kein Heim, das auf dich wartet?«
    Parric machte einen vergeblichen Versuch, sich zu erheben. »Um genau zu sein«, sagte er, »ich habe keins …« – und fiel der Länge nach aufs Gesicht.
     
    Als der Kavalleriehauptmann erwachte, klebte ihm die Zunge am Gaumen, und eine Herde wilder Pferde galoppierte durch seinen Kopf. Obwohl es stockdunkel war, räumte er nach ein oder zwei Sekunden ein, daß die Sache mit den Pferden zumindest den Tatsachen entsprechen konnte. Wenn man nach dem Geruch urteilte und seinem Bett aus stachligem Stroh, mußte er sich irgendwo in einem Stall befinden.
    Wie bin ich bloß hierhergekommen, fragte Parric sich. Große Teile der letzten Stunden des Abends waren aus seinem Gedächtnis einfach verschwunden. Er fühlte sich noch immer benommen von dem Bier, daher mußte es wohl fast Morgen sein. Getrieben von zwei unaufschiebbaren Bedürfnissen, erhob er sich mühsam auf die Füße. Das erste Bedürfnis ließ sich recht leicht stillen – er erleichterte sich einfach in der gegenüberliegenden Ecke des Stalls. Mit dem zweiten verhielt es sich ein wenig schwieriger, aber wenn er nicht bald etwas Wasser zu trinken bekam, würde er zweifellos verdursten.
    Schritt um Schritt tastete Parric sich an der rauhen, mit Spinnweben überzogenen Wand entlang aus dem Gebäude heraus. Ihm wurde sofort klar, daß Hebba nicht so hart war, wie sie zu sein vorgab – obwohl sie ihn in die Gosse hätte werfen können, hatte sie ihm im Stall der Gaststube zu einem trockenen Lager verholfen. Als er vor dem Gebäude stand, konnte er seine Umgebung deutlich sehen – der Mond stand hoch und beinahe voll am Himmel und hüllte die Stadt in ein kaltes, blaues Licht.
    Der Kavalleriemeister war dankbar für das Licht, sonst wäre ihm womöglich die widerwärtige, dunkle Schleimschicht entgangen, mit der die Innenseite des Pferdetrogs überzogen war. Glücklicherweise befand sich ganz in der Nähe eine Pumpe, so daß er frisches, klares Wasser zu trinken bekam.
    Parric zog sich an der Pumpe hoch und wischte sich die kaltgewordenen Hände an seinem Gewand und das tropfnasse Gesicht an seinem Ärmel ab. Bei allen Göttern, was für ein wunderbares Gefühl, wieder in Nexis zu sein! Als Gefangener der Phaerie hatte er ehrlich geglaubt, diesen Ort nie wiederzusehen. Sein Atem gefror in der frostigen Mitternachtsluft, und nun drehte er sich vollends um, um einen Blick auf die Stadt zu werfen. Und was er sah, war der Mühe wahrhaftig wert. Das Einhorn lag auf demselben Plateau wie die Garnison, hoch oben auf der Nordseite des Tals.

Weitere Kostenlose Bücher