Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
so gemeint habe – wir alle müssen unseren Kummer tragen«, seufzte Jharav.
»Ja – genau. Du hast die arme Ustila verloren, aber ich habe dich nie wie Eliizar reden hören, all diesen Blödsinn über Götter und Bestrafung und so weiter. Ist die Welt nicht schon schlimm genug, ohne auch noch die Götter mit hineinzuziehen?«
Jharav lachte verdrossen. »Ich glaube kaum, daß die Priester da mit dir einer Meinung wären, aber für uns gewöhnliche Leute ist es vielleicht gar keine so schlechte Sache! Nein, wirklich, Nereni, du kannst nicht das Gute zusammen mit dem Schlechten fortwerfen. Ich selbst schöpfe großen Trost aus dem Gedanken, daß meine Ustila sicher und glücklich in der Obhut des Schnitters ist.«
»Ja, aber dein Gott ist ein freundlicher Gott«, wandte Nereni ein. »Eliizars Schnitter scheint nur Gehässigkeit und Rachsucht zu kennen – aber ein Gott müßte doch über solche Dinge erhaben sein?«
Der Krieger schüttelte den Kopf. »Laß ihm Zeit, Nereni. Laß ihm Zeit.«
»Diese Mühe kann ich mir genausogut sparen«, erwiderte Nereni verbittert. »Welchen Sinn hat das alles, Jharav? Es wird nicht lange dauern, bis diese böse Frau uns alle zu Tode schindet. Was kann sie nur mit dieser Stadt vorhaben, die wir anscheinend mit bloßen Händen wieder aufbauen? Und was wird sie mit uns machen – mit denen, die überlebt haben –, wenn die Arbeit getan ist?«
»Darüber wage ich nicht nachzudenken. Aber ich vermute, sie will von hier aus den ganzen Süden beherrschen«, antwortete Jharav ernst. »Dieser Ort gäbe eine ideale Festung ab. Und wenn sie bereits die Himmelsleute von Aerillia beherrscht – verflucht sei der Name dieses Volkes –, dann kann es nur eine Frage der Zeit sein, bevor auch andere Länder und Rassen in ihre Hände fallen werden.«
»In diesem Falle«, sagte Nereni mit stiller Würde, »wäre ich lieber tot und bei meiner Tochter.«
Gerade in diesem Augenblick kam Lanneret, Rabes dreijähriger Sohn herbeigetrottet. »Reni«, jammerte er und zupfte an ihrem Ärmel, »Mutter weint wieder.«
Nereni seufzte und nahm ihn in die Arme. Entsetzt stellte sie fest, daß man seine kleinen Beinchen mit Fesseln und schweren Ketten beschwert hatte – eine Vorsichtsmaßnahme, die man bei allen gefangenen Himmelsleuten ergriffen hatte, um ihre mögliche Flucht aus Aerillia zu verhindern. »Na gut, mein Kleiner«, sagte sie zu ihm. »Ich komme gleich.«
Während sie sich erhob, wandte sie sich abermals an Jharav. »Weißt du«, sagte sie, »bevor ich Aurian kennengelernt habe, war ich immer viel zu nervös und ängstlich, um in einem Notfall oder einer Krise irgendwie von Nutzen sein zu können. Und jetzt sieh mich an – ich schultere nicht nur meine eigene Bürde, sondern auch die aller anderen.« Sie stieß ein kurzes, verdrossenes Lachen aus. »Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich der Magusch dankbar sein soll oder nicht. Es war viel einfacher, hilflos zu sein.«
Rabe saß neben dem reglosen Körper ihres Gefährten, und die Tränen tropften auf das geschundene und angeschwollene Gesicht des geflügelten Mannes. Auf dem Boden neben ihr schrie ihr Baby, aber Rabe hatte nicht einmal einen Blick für das kleine Mädchen. »O Nereni«, flüsterte sie. »Ich glaube, er wird sterben.«
Aguila war schwer verletzt worden, als er versuchte, seine Königin und seine Kinder vor den Brutalitäten Sonnenfeders und der Wachen zu schützen. Seit mehr als einem Tag war er nun ohne Bewußtsein; sein Atem ging flach, und sein Körper war kalt. Für Nereni waren all das schlimme Zeichen, aber um Rabes willen behielt sie ihre Furcht für sich. In gewisser Weise war es gerade Aguilas Bewußtlosigkeit, die die Königin bisher vor Sonnenfeder geschützt hatte. Zwischen den beiden Kriegern gab es einen heftigen, tief in der Vergangenheit verwurzelten Haß – Sonnenfeder hatte immer geglaubt, Rabe hätte ihn zum Prinzgemahl erheben sollen statt Aguilas, der aus einer einfachen Familie kam. Nereni wußte, daß er sich diese Chance, sich Rabe zu holen, nicht entgehen lassen würde; er wollte sie dafür zahlen lassen, daß sie ihn zurückgewiesen hatte – aber genauso wichtig war es Sonnenfeder, daß Aguila Zeuge seines Sieges wurde. Solange sich nicht herausstellte, ob ihr Gemahl weiterleben oder sterben würde, war Rabe nicht in unmittelbarer Gefahr – falls Sonnenfeder nicht irgendwann die Geduld verlor.
Als Nereni sah, daß Rabe sich überhaupt nicht um ihr Baby kümmerte, flammte für einen
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