Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
sich gerade darüber, wie gern sie sich dem Trupp angeschlossen hätten. Das Windauge ließ sich von der nächtlichen Brise treiben und driftete davon. Er wollte gerade zurückkehren und Aurian erzählen, was er herausgefunden hatte, als ihm eine Idee kam. Warum zog er nicht statt dessen weiter, bis nach Dhiammara? Wenn er die Winde ritt, würde die Reise kaum Zeit in Anspruch nehmen, und es könnte Aurian sicher helfen, wenn er herausfand, was da wirklich vorging.
Eliseths Heim in der Drachenstadt war in der Zwischenzeit bei weitem erträglicher geworden. In den wenigen Tagen seit ihrer Ankunft hatte sie unglaublich hart gearbeitet. Sie hatte ihren neuen Sklaven aus der Waldkolonie befohlen, das herabgestürzte Mauerwerk, das die Korridore des Smaragdturmes versperrte, wegzuschaffen, und schließlich hatten die Sterblichen das Gebäude wieder bewohnbar gemacht. Die Magusch hatte sich alles Lebensnotwendige aus der geplünderten Waldkolonie herbeischaffen lassen; hinzu kamen noch allerhand Luxusgüter, die täglich aus Aerillia herbeigebracht wurden.
Heute hatte die Magusch endlich im Turm Einzug gehalten, und das war auch höchste Zeit gewesen. Ihre geflügelten Wächter hatten ihr erzählt, daß die Besucherin, die sie erwartete, noch in dieser Nacht ankommen würde.
Eliseth trat zu dem großen, roten Kristall, der in einer Ecke des Raumes auf einem kunstvollen, metallenen Dreifuß ruhte; sein Leuchten versorgte den Raum mit Licht und Wärme. Während sie sich die Hände wärmte, erfreute sie sich an dem Gedanken, daß sie nicht lange gebraucht hatte, um die Kristallmagie des verblichenen und unbeklagten Drachenvolks zu erlernen. Geistesabwesend ordnete sie die goldenen Kelche auf dem Tisch und strich den üppigen Pelz glatt, der ihren geschnitzten Stuhl bedeckte. Sie war froh, daß ihr neues Quartier gerade rechtzeitig fertig geworden war, um ihren Gast zu beeindrucken, denn der Empfang einer Königin war nichts Alltägliches – selbst wenn diese Königin nichts anderes war als eine kleine sterbliche Schlampe, die sich irrigerweise für etwas Besseres hielt.
Von draußen war dumpfes Flügelschlagen zu hören. Ah – die Khisihn war endlich angekommen. Die Wettermagusch trat an die Tür ihrer Gemächer, um ihren Gast zu begrüßen. Sonnenfeder und eine Ehrenwache, bestehend aus zwei geflügelten Kriegern, hatten die Königin, die in ihrem vollen Staatsornat erschienen war, durch die geschwungenen, grünen Korridore eskortiert.
»Ihre Majestät, Königin Sara«, verkündete Sonnenfeder.
Die Besucherin hatte die tiefe Kapuze ihres Reiseumhangs zurückgeschlagen, und das herzliche Lächeln erstarrte auf Eliseths Zügen, als sie feststellte, daß diese Frau nordblondes Haar hatte und überhaupt keine Khazalim war! Was hatte das zu bedeuten? Wenn sich da jemand einen Betrug oder einen Scherz erlaubte, würde er dafür bezahlen, bei allen Göttern!
Dann stieg von irgendwo tief in ihren Gedanken eine Erinnerung an die Oberfläche – keine Erinnerung aus ihrem eigenen Gedächtnis, sondern etwas, das sie aus Anvars Geist gestohlen hatte, die Erinnerung an seine Jugendliebe, die ihn zugunsten des Königs der Khazalim zurückgewiesen hatte. Eliseth betrachtete die Frau wachsam. Hier stand also jemand vor ihr, der genauso unbarmherzig und gnadenlos war wie sie selbst.
Die kleine, blonde kleine Königin machte keine Anstalten, sich ehrfurchtsvoll zu verbeugen. Statt dessen neigte sie mit fürstlicher Geste den Kopf, ein Gruß von Gleich zu Gleich. Äußerlich änderte sich nichts an Eliseths strahlendem Lächeln. Innerlich schäumte sie vor Wut. »Euer Majestät«, sagte sie und nickte, wie die andere Frau es getan hatte.
»Bitte«, sagte die Königin, »verzichten wir doch auf solche Förmlichkeit zwischen uns. Ich bin sicher, daß Frauen von unserem hohen Rang Freundinnen sein können. Schließlich haben wir so vieles gemeinsam – sogar die Tatsache, daß wir beide aus Nexis kommen – und die Tatsache, daß Aurian auch meine Feindin ist.«
Das Lächeln verschwand aus Eliseths Zügen und ein Ausdruck maßlosen Erstaunens trat an seine Stelle.
Als Chiamh, der unsichtbar in einer Ecke des Raumes an der Decke geschwebt hatte, Aurians Namen hörte, kam er ein wenig näher, um auf keinen Fall etwas von dem Gespräch der beiden Frauen zu verpassen. Er war zusammen mit der Besucherin auf einem Schwall kühler Zugluft eingetreten, weil er noch einmal einen Blick auf Aurians Feindin werfen wollte, die er seit
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