Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
konnte, denn ihr fielen ungezählte Dinge ein, die er für sie tun sollte, damit die Stadt bis zu ihrer Rückkehr sicher verwaltet wurde. Und eine seiner ersten Aufgaben, überlegte Eliseth grimmig, würde ein Angriff auf diese verfluchten Phaerie sein! Obwohl sie wußte, daß Vannor kaum eine Chance hatte, den Waldfürsten und seine Untertanen zu besiegen, konnte er sie vielleicht so weit schwächen, daß Eliseth dort Erfolg haben würde, wo er gescheitert war. Und wenn ein paar hundert Sterbliche dabei ihr Leben ließen – na und? Sie vermehrten sich ohnehin wie die Kaninchen – es würde bald wieder Nachschub geben.
Die Magusch blickte in die Tiefen des Kelchs und konzentrierte sich darauf, das Bild Vannors heraufzubeschwören. Sie fand den Kaufmann im Bett sitzend, wo er im Kreise seiner Familie seine Suppe löffelte.
Mit unendlicher Vorsicht bahnte Eliseth sich einen Weg in Vannors Geist und las schließlich in seinen Gedanken wie in einem offenen Buch; sie lernte seine Hoffnungen und seine Träume kennen, seine Ängste und seine Pläne. Als interessante Dreingabe fand sie heraus, was Aurian während ihrer Reise übers Meer widerfahren war, denn die Magusch und Anvar hatten Vannor bei ihrer Rückkehr die ganze Geschichte erzählt. Eliseth prägte sich sämtliche Einzelheiten genau ein – sie mochten ihr eines Tages noch sehr nützlich sein. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihr Opfer. Sie wollte ihre Macht erproben, ohne Vannors Gefährten zu erschrecken. Nach kurzem Nachdenken ließ sie ihn den Löffel in seinen Napf werfen, so daß heiße Suppe auf die Decke spritzte.
Dulsina fuhr mit einem ängstlichen Aufschrei hoch. »Was ist passiert? Ist alles in Ordnung? Fühlst du dich wieder schlechter?«
Vannor schüttelte den Kopf und versuchte erfolglos, die Suppenflecken von der Decke zu tupfen. »Mir geht es gut, Liebste, mach kein solches Theater. Ich weiß gar nicht, was über mich gekommen ist – meine Aufmerksamkeit hat wohl für einen Augenblick nachgelassen. Ich bin wahrscheinlich immer noch müde.«
Mit einem selbstgefälligen Lächeln zog Eliseth sich aus seinem Geist zurück und kehrte in ihren eigenen Körper heim. Ihr Triumph verlieh ihrem Mahl zusätzliche Würze. Sie hatte die Sache mit Vannor erfolgreich geregelt – und jetzt war es Zeit, sich Anvar zuzuwenden. Für eine Magusch war Wissen Macht, und die Informationen, die sie aus Vannors Gedanken bekommen hatte, vergrößerten ihren Appetit auf weitere Einzelheiten über Aurians Abenteuer. Sie wollte mehr über die südlichen Länder in Erfahrung bringen – und Anvar war schließlich selbst dort gewesen. Immer noch lächelnd ging sie die Treppe hinunter und wählte aus der Waffenkammer im Wachraum einen langen, scharfen Dolch aus. Dann kehrte sie auf ihr Zimmer zurück, füllte den Gral bis zum Rand mit Wasser, nahm ihn dann vorsichtig in beide Hände und ging zum Dach hinauf, wo Aurians Geliebter lag.
Die Luft draußen war schwül und drückend und erfüllt von einer beinahe körperlich greifbaren Spannung. Dicke, schwere Türme schwarzer Wolken hatten sich über der Stadt zusammengeballt, und Eliseth konnte das leise drohende Rumoren fernen Donners hören. Ein Schaudern der Erregung durchlief sie. Je näher die rohe, wilde Macht des Unwetters kam, um so stärker würde ihre Magie werden. In dem bösartigen, kupferfarbenen Zwielicht konnte sie das schwache blaue Schimmern ihres Zeitzaubers auf der anderen Seite des Daches erkennen. Vorsichtig, um ja nicht das Wasser aus dem Gral zu verschütten, ging sie darauf zu. Anvar lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Dach, genau da, wo sie ihn zurückgelassen hatte, eine lange, dunkle Gestalt, deren Identität unter dem wabernden, flackernden, bläulichen Gewebe des Zaubers unkenntlich blieb. Eliseth setzte den Kelch mit einem entschiedenen, metallischen Klirren auf die glatten Steinfliesen des Dachs und legte sich den Dolch griffbereit zurecht. »Endlich«, flüsterte sie. »Jetzt kann nicht einmal Aurian dich retten.« Dann sammelte sie ihre ganze Macht, richtete sie auf den am Boden liegenden Anvar und löste ihren Zauber auf.
Das Opfer eines Zeitzaubers erlebte stets einige Augenblicke der Verwirrung, während die magischen Fesseln entfernt wurden – es war Eliseth ein leichtes, den Zauber aufzulösen und durch einen einfachen Schlaf zu ersetzen, bevor Anvar Zeit hatte, gegen sie zu kämpfen oder überhaupt zu begreifen, was ihm widerfuhr. Sobald er hilflos vor ihr lag,
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