Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
das letzte Mal einen Fuß in die Höhle des Erzmagusch gesetzt hatte, hatte sie die Bedrohung der furchtbaren Todesgeister gespürt und mit angesehen, wie die todbringenden Geschöpfe ihren geliebten Forral ermordeten, jene Geschöpfe, die durch die unheilige, widernatürliche Benutzung des Grals der Wiedergeburt auf den Plan gerufen worden waren. Als sie sich der Tür näherte, stürmten die Erinnerungen ungebeten auf sie ein, genauso wie seinerzeit diese entsetzlichen, auf Miathans Geheiß entfesselten Greuel in den Raum gestürzt waren, in dem ihr Liebster in seinem Blut lag. Die Angst ließ Aurian am ganzen Körper zittern und auf dem obersten Treppenabsatz erstarren.
Es erforderte mehr Mut, als Aurian sich bisher zugetraut hatte, diese Tür zu öffnen, aber in ihrem Herzen wußte sie, daß sie es tun mußte. Wußte, daß sie, wenn sie nur noch einen Augenblick lang zögerte, niemals die Kraft dazu aufbringen würde. Also legte sie entschlossen die Hand auf den Riegel und lauschte mit jedem Sinn auf die verräterischen Zeichen einer magischen Falle oder eines Wachzaubers. Aber es war nichts dergleichen zu entdecken – und das allein genügte, um die Magusch zu äußerster Vorsicht zu mahnen. Ob er lebte oder tot war, es hätte Miathan überhaupt nicht ähnlich gesehen, seine privaten Räume den neugierigen Blicken eines jeden zu enthüllen, der zufällig des Weges kam – und schon gar nicht, wenn es sich um einen anderen Magusch handelte. Wenn er seine Räume nicht irgendwie geschützt hatte, dann mußte es einen guten Grund dafür geben.
Vorsichtig nahm Aurian den in Schlangenform geschnitzten Stab der Erde aus ihrem Gürtel, drehte ihn um und benutzte das untere Ende, um die Tür aufzudrücken. Aus der Dunkelheit dahinter strömte ihr der widerliche Geruch von Aas entgegen. Die Magusch trat hastig einen Schritt zurück und rutschte von der obersten Stufe ab. Nur ein verzweifelter Griff nach dem Geländer bewahrte sie vor einem Sturz.
»Sieben verfluchte Dämonen!« Tiefe Finsternis umfing sie – ihr Licht war erloschen, als sie stolperte. Abgesehen von ihrem eigenen Aufschrei blieb alles reglos. Die Stille war genauso undurchdringlich und tot wie der widerliche, klebrige Gestank, der die Luft verpestete. Dennoch begann in Aurians Gedanken ein vertrauter Laut Gestalt anzunehmen – das fauchende, schnarrende Summen roher magischer Kraft. Der Erdenstab in ihrer Hand vibrierte zur Antwort und reagierte mit einem smaragdfarbenen Schimmer auf seinen Bruder. Das Herz der Magusch schlug schneller. Das Schwert! Das Flammenschwert war hier! Aurian klammerte sich an das glatte Holzgeländer, zog sich hoch und ignorierte das Pochen in ihrem Schienbein und den nagenden Schmerz in ihrem linken Arm, der für einen kurzen Augenblick ihr gesamtes Gewicht hatte tragen müssen. Dann fuhr sie sich mit dem Ärmel über die tränenden Augen, ließ ein neues Maguschlicht aufflammen – so hell sie es vermochte – und nahm den Stab in die linke Hand. Dann zog sie mit der Rechten ihr Schwert und schlich sich vorsichtig in Miathans Höhle – nur um sogleich wie gebannt vor Entsetzen und Verzweiflung stehenzubleiben.
Das Maguschlicht flammte auf und beleuchtete jedes einzelne, gräßliche, unausweichliche Detail des schauerlichen Anblicks, der sich ihr hier bot. Aurian erfaßte die gesamte Szene in einem einzigen, erstarrten Augenblick des Grauens. Der Fußboden, die Wände – ja sogar die Decke des Zimmers war mit Blut besprenkelt. Ein kopfloser Leichnam lag mit verzerrten Gliedern vorm Feuer – das Flammenschwert hatte sich durch das Herz gebohrt und nagelte den Toten am Boden fest. Die Klinge des Schwertes verströmte ein blendendrotes, gleißendes Licht. Und auf den Griff des Schwerts aufgespießt, steckte der Kopf Anvars.
Ein Aufschrei des Entsetzens entrang sich Aurians Seele – aber kein Laut kam über ihre Lippen. Sie konnte den Anblick nicht ertragen, war jedoch außerstande, den Blick abzuwenden. Das Gesicht ihres Geliebten war zu einer Fratze der Qual verzerrt, und doch spürte ihr Blick jeden einzelnen seiner geübten Züge auf. Dann – ihr Herzschlag stockte, setzte aus und begann zu rasen, als die Augen der Leiche sich langsam öffneten, Blut weinten und sie mit einem glasigen, leeren Blick anstarrten. Die Knöchel von Aurians rechter Hand, mit der sie den Erdenstab umklammert hielt, wurden weiß, als die grauen Lippen sich plötzlich öffneten. Anvars Leiche begann zu sprechen – aber es war nicht seine
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