Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
diese Sache scheiterte, blieb ihm ohnehin nichts mehr, und sein Tod war nur noch eine Frage von Augenblicken. Die Zeit schien sich zu einer Ewigkeit auszudehnen. Er war sich eines jeden gequälten Atemzuges bewußt, spürte jeden schmerzenden Muskel, der ihn weitertrieb. Der Fluß war jetzt näher – aber kaum hörte er das hohle Trommeln seiner Schritte auf der Holzmole, da warf sich auch schon eines der gewaltigen Tiere von hinten gegen ihn. Ein brennender Schmerz schoß durch seinen Oberarm und seine Schulter, wo die Zähne des Hundes sich durch Muskeln und Haut bohrten. Miteinander ringend, wälzten sich der Hund und der Dieb wieder und wieder über die Mole, bis Grince mit einemmal spürte, daß er fiel.
Er wäre viel härter aufgeschlagen, hätte der Hund nicht seinen Fall gebremst. Nichtsdestoweniger waren es gut und gern fünf Meter von der Mole bis zum Boden, und das genügte, um den Rest des Rudels zurückzuhalten, das sich jaulend und kläffend oben am Ufer versammelte. Die Wucht des Aufpralls raubte ihm den Atem, aber er wußte, daß die Soldaten jeden Augenblick da sein würden. Keuchend kroch er auf Händen und Knien unter den Felsüberhang, um sich dort zu verstecken, bevor oben die Soldaten erschienen. Er durfte keine Zeit verlieren – sobald die Männer eine Möglichkeit fanden, die Hunde herunterzubringen, würden sie wieder hinter ihm her sein.
Schon konnte Grince die ersten Stimmen über sich hören. Auf allen vieren kroch er weiter und hielt sich bedachtsam unter dem Felsvorsprung, wo sie ihn nicht sehen konnten. Da ließ ihn ein grauenvolles Geräusch verharren. Voller Angst blickte er sich um – und stellte fest, daß das Schlimmste geschehen war, was ihm passieren konnte. Der Hund, den der Sturz betäubt hatte, kam langsam zu sich. Grince konnte sehen, daß das Tier ihn betrachtete; seine gelben Augen funkelten in dem Lampenlicht, das von oben auf sie herunterfiel. Die Bestie zog die Lippen zurück und ließ mit einem drohenden Knurren weiße Fangzähne aufblitzen. Grince schluckte; sein Mund war plötzlich sehr trocken geworden. Dann bewegte er sich mit extremer Langsamkeit und betete zu jedem Gott, auf den er sich besinnen konnte, während er sich zentimeterweise von dem Mörderhund entfernte. Langsam und mit steifen Gliedern erhob sich der Hund, und seine haßerfüllten Augen folgten dem Dieb bei jeder Bewegung.
»Seht doch! Der Hund hat etwas bemerkt«, hörte Grince von oben. »Na los, Junge – schnapp ihn dir! Zerreiß ihn!«
Grinces Plan, sich den in der Dunkelheit gelegenen Wasserlauf hinunterzuschleichen, löste sich in Luft auf. Als der Hund sich auf seine Kehle stürzte, riß Grince den schweren Sack von seinem Gürtel und ließ ihn mit aller Kraft gegen den breiten Schädel des Tieres krachen. Er traf sein Ziel, und der Hund zog sich jaulend zurück. Grince tastete nach seinem Messer, um dem Tier die Kehle durchzuschneiden – und fand nichts. Irgendwann im Verlaufe seiner wilden Flucht mußte er die Waffe verloren haben. Verflucht!
Wieder einmal zwang die Furcht Grinces schmerzenden Körper weiterzulaufen – nicht durch die Wasserrinne selbst, sondern an der Seite entlang, bis er den gewaltigen Felsen sehen konnte, auf dem sich drohend und finster die Maguschakademie erhob. Als er die erste Biegung des Flußbetts erreichte, wurde die Böschung, wie er gehofft hatte, etwas flacher, so daß man sie erklimmen konnte. Aber bevor er oben angelangt war, hörte er den Hund im Flußbett knurren. Er hatte die Jagd wieder aufgenommen und wurde von den sich übers Ufer nähernden Soldaten angefeuert.
Verzweiflung überkam den Dieb. Jetzt hatten sie ihn in die Enge getrieben. Er hätte weinen mögen – es war so ungerecht. So viele Male hatte er seine Verfolger überlistet – und doch konnte er sie einfach nicht endgültig abschütteln.
»Da ist er!«
»Schnappt euch den kleinen Bastard!«
»Packt ihn euch, wenn er raufkommt!«
Die Soldaten nahmen oben auf dem Hügel Aufstellung, da es ihnen unnötig riskant erschien, das schlüpfrige Gefälle hinunterzusteigen. Das Scharren der Hundepfoten auf dem Ufer hinter ihm übertönte die Stimmen der Männer. Grince saß in der Falle; er konnte nirgendwo hin. Das Licht von den Laternen der vielen Wachen über ihm blendete ihn, und er sah das Loch erst, als er hineinfiel – und sich in einem merkwürdigen Tunnel wiederfand, dessen Wände und Fußboden glatt und gewölbt waren und leicht anzusteigen schienen. Bevor Grince nach dem
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