Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
unter sich hinablassen.
Die Tür, durch die das Heu herauf geschafft wurde, lag am anderen Ende des Dachbodens und wurde teilweise von einem Heuballen verdeckt. Mit einem Hustenanfall, der ihm schier das Innerste nach außen kehrte, riß der Dieb die Doppeltüren weit auf und sog gierig die herrliche, kalte Nachtluft ein. Als er sich vorbeugte, schlug er mit dem Kopf gegen etwas, das eine Sekunde später wieder zurückschwang und ihm einen weiteren heftigen Schlag versetzte. Nachdem Grince blinzelnd die letzten Tränen niedergekämpft hatte, bemerkte er einen großen Eisenhaken, der mit einem Flaschenzug in der Nähe der Decke verbunden war. Er folgte dem Seil bis hinunter in die Finsternis neben der Tür, dann lockerte er es und ließ es sich durch die Finger gleiten, bis der Haken den Boden erreicht hatte. Als er es wieder befestigte, ließ er es jedoch zu schnell hinuntergleiten. Das grobe Seil schürfte ihm die Hände auf. Noch bevor er fluchend auf dem Boden aufprallte, begann er in der Luft mitzulaufen.
Grince war hinter dem Stallblock an einer ihm unvertrauten Stelle des Grundstücks herausgekommen, aber das beunruhigte ihn nicht, solange ihm niemand folgte. Er rannte auf schmerzenden Füßen hügelabwärts und wußte, daß er über kurz oder lang das trockene Flußbett erreichen mußte. Dort zumindest hatte er eine gewisse Chance, seine Verfolger abzuschütteln. Hinter sich hörte er das Stalldach mit einem lauten Krachen einstürzen, und die dunklen Flammen, die hoch in den Nachthimmel schossen, warfen seinen Schatten vor ihm auf den Weg. Eine lebhafte Erinnerung an die Vergangenheit – die Soldaten, die Jarvas’ Herberge überfielen; das Dach des Lagerhauses, das in Flammen aufging; seine Mutter, die von einem Schwert durchbohrt worden war … Grince stolperte, rollte sich herum und rappelte sich fluchend wieder hoch. Die grauenhafte Kindheitserinnerung verlieh ihm neue Entschlossenheit, und das Entsetzen gab seinen dahinfliegenden Füßen zusätzlichen Schwung. Mit etwas Glück würden sie glauben, er sei im Stall umgekommen.
Ein Schrei wurde laut. Irgendein Mistkerl hatte das verwünschte Seil gefunden. Wie um ihn weiter zu quälen, begann der Weg sich in die falsche Richtung zu winden, statt ihn näher zum Fluß zu bringen. Unter bitteren Flüchen zwängte Grince sich durch ein Gebüsch neben dem Pfad. Er rechnete eigentlich damit, hinter sich die Verfolger zu hören, und war überrascht, als nichts passierte. Aber dann, nach einem kurzen Augenblick, wurde die Luft von einem tiefen, mißtönenden Bellen zerrissen. Sie hatten die Hunde losgelassen!
Bis zu diesem Moment hatte Grince geglaubt, nicht schneller rennen zu können. Seine Muskeln brannten, sein Herz hämmerte, als wolle es bersten, und seine pfeifenden Lungen rangen verzweifelt nach Luft. Als er das tödliche Heulen hinter sich hörte, entdeckte er jedoch neue und unerwartete Kräfte in sich. Das Bellen wurde immer schriller. Pendrals Mörderhunde hatten seine Fährte aufgenommen.
Besinnungslos vor Panik pflügte Grince sich durch das Gebüsch. Bei jedem Schritt hinderten ihn trügerische Wurzeln, und biegsame, mit Stacheln bewehrte Zweige rissen an seinen Kleidern und zerkratzten sein ungeschütztes Gesicht. Ungeachtet seiner Schrammen und Prellungen taumelte er weiter und zwang sich durchs Unterholz. Das Bellen der Hunde wurde immer lauter. Bald würden sie ihn erreicht haben: Er konnte das Geräusch knackender Zweige hören, während die Bestien durch das Gebüsch brachen. Und jetzt hörte er sogar ihren hechelnden Atem auf dem Weg hinter sich.
Bevor er wußte, wie ihm geschah, schoß Grince durch den letzten Teil des Unterholzes und befand sich wieder im Freien. Gedankt sei den Göttern! Jetzt konnte er schneller laufen. Irgendwo hinter sich hörte er die Schreie der Wachen und die schrillen Pfiffe der Hundeführer, die die Tiere noch anfeuerten, aber Grince scherte sich nicht darum. Ungefähr hundert Meter unter sich, am Fuß eines grasbewachsenen Hügels, konnte er die Fackeln von Pendrals Mole sehen, die den Unvorsichtigen daran hindern sollten, in den Abgrund zu stürzen – aber wenn der Dieb im Freien schneller laufen konnte, konnten die Hunde es erst recht. Einer nach dem anderen schossen sie hinter Grince aus dem Gebüsch. In Sekundenschnelle waren sie ihm auf den Fersen.
Grince spürte, wie etwas hinter ihm an seinem Rock zerrte und hörte Stoff reißen. Irgendwie zwang er sich zu einem letzten verzweifelten Kraftakt. Wenn
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