Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
der äußerlich unverändert und vollkommen starr in dem blauen Netzwerk eines Zeitzaubers gefangen war. Sie holte tief Luft und biß sich auf die Lippen. »Ich glaube es einfach nicht«, sagte sie wütend. »Finbarr wurde bei dem Angriff der Todesgeister getötet – ich habe seinen Tod gespürt. Warum sollte ihn der Erzmagusch aus der Zeit nehmen? Das ist Wahnsinn!«
»War Miathan denn jemals etwas anderes als wahnsinnig?« erwiderte Forral grimmig. »Aber Aurian, bist du absolut sicher, daß du Finbarrs Tod gespürt hast?«
Die Magusch runzelte die Stirn und versuchte sich an jenen lang vergangenen Augenblick zu erinnern. »Es war das erste Mal, daß ich den Tod eines anderen Magusch erlebt habe. Das ist etwas, das man nicht verwechseln kann, glaub mir. Also, warum hat Miathan Finbarrs Körper auf diese Weise bewahrt? Ich verstehe es einfach nicht.«
»Miathan hatte den Gral, vergiß das nicht.«
Aurian sah sich zu Forral, der Anvars Gestalt trug, um. »Wir haben heute bereits eine Kostprobe von der Macht des Grals bekommen«, sagte sie nachdenklich. »Nach dem, was mit dir und Anvar passiert ist – glaubst du, hier könnte etwas Ähnliches geschehen sein?«
»Wer kann das sagen?« Forral zuckte die Achseln.
»Nun, ich finde, wir sollten ihn befreien«, sagte die Magusch entschlossen.
»Nein!« widersprach ihr Forral erschrocken.
»Nein!« Shias Stimme hallte scharf in Aurians Gedanken wider. »Was könnte uns das nutzen? Du hast selbst gesagt, der Mensch sei tot – und ich spüre hier böse Magie. Laß ihn, wie er ist. Und dann sollten wir zusehen, daß wir von diesem schrecklichen Ort verschwinden. Wenn wir uns in diese Sache einmischen, kann nichts Gutes daraus entstehen.«
»Das ist der beste Rat, den ich heute nacht bekommen habe.« Aurian bedachte erst den Schwertkämpfer, dann die Katze mit einem gequälten Lächeln. »Leider kann ich ihn aber nicht annehmen. Finbarr war mein Freund – ich kann ihn nicht so einfach hier zurücklassen, ohne es genau zu wissen. Ich würde mich bis an mein Lebensende fragen, ob ich mich, was seinen Tod betrifft, nicht vielleicht doch geirrt habe.«
»Aurian, du machst einen großen Fehler«, warnte Forral sie. »Was hier auch geschehen sein mag, du darfst dich nicht einmischen.«
»Das sagst du zu einer Magusch?« entgegnete Aurian. »Da könntest du besser dem Feuer verbieten zu brennen, als einem Abkömmling meiner Rasse die Einmischungen zu untersagen.« Sie wandte sich der großen, unbeweglichen Gestalt des Archivars zu. »Ihr anderen solltet jetzt besser in Deckung gehen«, sagte sie zu ihren Freunden.
Niemand schenkte ihrer Warnung Gehör – und genau das hatte sie erwartet. Also trat Aurian einen Schritt zurück, atmete tief durch, beruhigte ihren Geist und bündelte ihre gesamte Macht. Vorsichtig begann sie den Zeitzauber zu lösen. Der wabernde blaue Nebel, der Finbarr umgab, zuckte träge und begann sich zu lichten. Dann zerstob er mit einem lauten Krachen in eine Wolke winziger blauer Funken, die wie eine zersplitterte Eisschicht von dem Körper des Archivars wegsprangen. Finbarrs Augen wurden klar. Er blinzelte und taumelte kurz, richtete sich jedoch wieder auf, bevor sie ihm helfen konnten. Er wich vor ihren ausgestreckten Händen zurück.
»Berührt mich nicht. Ich bin nicht, was ich zu sein scheine.« Die Stimme war hell und trocken und ohne jede Betonung. Es war nicht die Stimme eines Menschen.
Shia stieß ein tiefes, kehliges Knurren aus. Unter ihrer Hand spürte Aurian, wie sich das Haar der großen Katze langsam aufstellte. Ihr selbst erging es nicht viel besser. »Was bist du dann?« fragte sie energisch. »Was hast du mit Finbarr gemacht?«
Die Stimme verfiel in ein tiefes, unheimliches Kichern, das hohl durch den Raum hallte. Das Geräusch weckte beklommene Erinnerungen, die für die Magusch jedoch irgendwie nicht ganz faßbar waren. »Du wirst dich doch gewiß daran erinnern, was ich bin, o Magusch. Die Nihilim jedenfalls haben dich nie vergessen.«
Aurian keuchte entsetzt und machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie hatte das Gefühl, als würde sich eine Eisschicht über ihre Haut legen. Forral, der hinter ihr stand, stieß einen Schreckensschrei aus, und einen Augenblick später hörte sie das Scharren von Stahl, als sein Schwert aus der Scheide fuhr.
»Laßt euch nicht anmerken, daß ihr Angst habt!« Die scharfe Warnung von Shia ließ die Magusch, die bereits die Flucht hatte ergreifen wollen, wie angewurzelt
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