Die Asche der Erde
und selbstgerecht. Außer ihnen waren Mitglieder der privilegierten Familien und zahlreiche Bedienstete anwesend. Alle lauschten in erwartungsvollem Schweigen der weithin schallenden Stimme des Gerichtsbeamten.
Das Papier, auf dem die Urteile standen, raschelte laut, als es zusammengefaltet wurde.
Der ältere Mann kam zuerst an die Reihe. Mischa hatte nicht gehört, welches sein Verbrechen war, und es kümmerte sie nicht. Seine Schmerzen und Schreie zerschlugen alle Verteidigungen, die sie aufbauen konnte. Er hatte keinen Zorn in sich, nur Angst, Reue und Bedauern. Mischa konnte seine Empfindungen weder verstehen noch teilen; diese Strafe war nicht geeignet, Schuldgefühle in ihr zu erzeugen. Wenn diejenigen, die sie bestraften, das nicht wußten, sie wußte es.
Die Gefühle des Vollstreckers kamen durch. Er fand Gefallen an der Macht, die ihm durch die geflochtene Lederpeitsche zuwuchs. Die Reaktionen der Zuschauer waren Zustimmung und Abscheu, sinnliche Erregung und Schadenfreude. Die Mischung hatte einen geistigen Geruch von Schleim, Verfall und Tod. Mischa wehrte aufsteigende Übelkeit ab und zog sich in sich selbst zurück. Der Mann schrie wieder auf und zog sie zurück in die Realität der Gegenwart, und das war das erste Mal, daß sie wirklich den Knall der Peitsche hörte, ihr Aufklatschen und Zurückschnellen. Feine Blutstropfen bespritzten das von ihren Hüften herabhängende Hemd, ihre Seite, ihre kleine Brust, ihre Wange. Sie versuchte die Hände aus den Schlaufen zu ziehen, aber die Riemen waren schmerzhaft fest um ihre Handgelenke gezogen und mit ihrem Körpergewicht belastet.
Es roch nach Schweiß und Ungewaschenheit, nach Blut und Angst. Mischa hörte das gebrochene Schluchzen und Stöhnen des Mannes, als er nach beendeter Auspeitschung losgemacht wurde. Der Vollstrecker übergab seine Peitsche der Vollzugsbeamtin, die Mischa zum Gericht geführt hatte, denn es war Vorschrift, daß Männer von Männern und Frauen von Frauen bestraft wurden. Sie sah die Frau probeweise mit der langen, geflochtenen Lederpeitsche ausholen, spannte sich unwillkürlich und hörte ein leises Lachen.
Die gefilterte Wahrnehmung der Schmerzen ihres Leidensgenossen hatte sie nicht vorbereitet. Die Peitsche durchschnitt ihren mageren Rücken beinahe bis auf den Knochen, warf sie gegen den Stein und preßte ihr den Atem aus der Lunge. Sie schnappte keuchend nach Luft und wurde von einem neuen Schlag getroffen, der ihren zusammengepreßten Lippen einen wilden Aufschrei entriß. Sie biß die Zähne zusammen. Die mit eingetrocknetem Blut bedeckte Steinsäule scheuerte ihre Stirn auf, und sie bohrte die Fingernägel in die Handballen, doch wenn sie versuchte, sich auf diese Empfindungen zu konzentrieren, schienen sie sich aufzulösen. Die Peitsche holte sie immer wieder in die unerträgliche Gegenwart zurück.
Die Frau gab ihr zwanzig Hiebe, dazu fünf wegen Ungebührlichkeit und fünf für den Fluchtversuch. Sie war eine Expertin. Sie wußte Abfolge und Stärke der Schläge so zu dosieren, daß Mischa nicht vor Schmerzen ohnmächtig wurde und nach jedem Schlag Zeit hatte, die erneuerte Qual auszukosten und zu glauben, sie habe sich verzählt und jeder Schlag sei der letzte.
Als die Auspeitschung beendet war, kurz bevor sie endlich ohnmächtig wurde, hörte Mischa ein leichtes, helles, schreckliches Lachen.
4
Das Zentrum setzte seine Radarstation mit dem Funkmeßturm während des Winters außer Betrieb, denn in dieser von Sand-und Staubstürmen beherrschten Zeit landete niemand. Subzwei wußte dies und plante danach. Die Bordinstrumente zeichneten die weite Wüstenebene nach, die hohen Gebirgszüge, die sie umschlossen, und den isoliert inmitten der Einöde aufragenden Tafelberg. Sonarreflexionen deuteten auf verwickelte geologische Verhältnisse hin. Subzwei verstärkte die Vergrößerung, bis die dreidimensionale Wiedergabe des Tafelbergs seinen Bildschirm füllte und er ein wenig abseits die winzige Stelle des Landeplatzes mit dem dunklen Punkt des Blockhauses sehen konnte. Er war sich äußerst empfindlich aller Vorgänge im Brückenraum des Schiffes bewußt, aller Dinge und Personen, aller Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Maschine und Mensch und Mensch. Sein Pseudozygote saß neben ihm und war in jeder Phase bereit, die Kontrolle zu übernehmen, und ihre gemeinsame Beherrschung des Schiffes war so vollkommen, daß die anderen Leute im Brückenraum beinahe so überflüssig waren wie der untröstliche junge
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