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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Seine glatte, bräunliche und haarlose Haut war so vollkommen, so samtig und schimmernd, daß Mischa sich an eine mechanische Puppe gemahnt fühlte, geschlechtslos wie die fremdartigen Plastiken in den Ecken.
    »Also«, sagte er. »Wer bist du, und was willst du hier?«
    Ehe sie antworten konnte, wurde der leere weiße Bildschirm an der Wand mit der Wiedergabe des zweiten Bruders lebendig. Mischa blickte von einem zum anderen. Sie hatte die beiden nie zuvor gesehen, und ihre Ähnlichkeit war durchaus eindrucksvoll, doch schien der Mann auf dem Bildschirm ernsthafter zu sein, weniger liederlich. Zwischen seinen Brauen stand eine schwach ausgeprägte senkrechte Falte, während die Stirn des anderen völlig glatt war. »Geh und steck ihn in deinen Computer«, sagte er zum Bild seines Bruders. Wenn er sprach, zeigte sich der Ansatz zu einem Doppelkinn.
    Das Gesicht aus dem Bildschirm musterte Mischa. »Ziemlich jung für deinen Geschmack, meinst du nicht?«
    Mischa stand stumm und verfolgte den Wortwechsel. Die beiden Brüder waren zusammen mehr als doppelt so unangenehm wie einer allein.
    Sie bemerkte die kleine Kamera, die der Blickrichtung des Mannes auf dem Bildschirm folgte. Das bewegliche Objektiv flößte ihr ein akutes Unbehagen ein. Als das Ebenbild zu seinem Bruder zurückblickte, schwenkte die Kamera weg.
    »Ich habe sie nicht eingeladen.« Sein Ton wurde zusehends verdrießlicher, und eine ärgerliche Röte stieg ihm in die Wangen. »Was ist mit der Alarmanlage?«
    »Die Kleine machte mich neugierig«, sagte das Ebenbild. »Dann hast du sie hereinkommen sehen? Und hast es zugelassen?«
    »Du hast deine eigene Alarmanlage. Wenn es dir lieber ist, sie ausgeschaltet zu lassen, dann soll das nicht meine Sorge sein.« »Sie hätte mich umbringen können!«
    »Mach dich nicht lächerlich. Ich habe sie durchleuchtet. Wäre sie bewaffnet gewesen, so hätte ich sie nicht eingelassen. Was kann sie tun?«
    »Sie kann von hier verschwinden!«
    Mit Bedacht schob Mischa eine Gesäßhälfte auf den niedrigen Materialschrank hinter ihr. Sie versuchte, sich ihre Bestürzung über den Umstand, daß sie seit ihrem Eindringen in den Palasteingang ohne ihr Wissen beobachtet worden war, nicht anmerken zu lassen. Dabei hatte sie nach Überwachungsanlagen Ausschau gehalten. Der einzige tröstliche Gedanke dabei war, daß sie mit Kontrollen gerechnet und wohlweislich darauf verzichtet hatte, ihren Dolch mitzunehmen.
    »Bist du taub oder blöd? Ich sagte, daß du verschwinden sollst!«
    »Einen Augenblick«, sagte der andere aus dem Bildschirm. »Was willst du hier?«
    »Ich möchte fort von hier«, sagte Mischa.
    »Das ist interessant«, sagte das Gesicht. »Komm hier herüber, dann können wir uns unterhalten.«
    »Moment«, sagte sein Bruder mit plötzlich erwachtem Interesse. »Sie kam zuerst hierher.« Er betrachtete Mischa, als hätte er sie zuvor nicht gesehen. »Du bist ein komisches Ding. Bleib hier. Ich werde dir was zu tun geben.«
    Mischa sagte etwas Unübersetzbares in einer fremden Sprache, die sie selbst nicht verstand: eine Redensart, die Chris irgendwo aufgeschnappt und ihr als äußerst wirkungsvoll beigebracht hatte. Der unmittelbare Erfolg war eine Ohrfeige des Mannes, die sie fast zu Boden warf.
    »Raus!« Sein Tonfall und seine Empfindungen signalisierten helle Wut. Er schoß einen zornigen Blick zum Bildschirm und sagte: »Ich hoffe, der freche Balg wird dir die Visage zerkratzen.«
     
    Mischa betrat ein Quartier, das dem ersten in allem glich, ausgenommen in der Farbe: Die neutralen und eher faden Farbtöne wiesen allesamt einen Stich ins Blaue auf, während sie zuvor einen mehr rötlichen Grundton gezeigt hatten. Der Mann aus dem Bildschirm erwartete sie an der Tür und winkte sie zu einer Couch. Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen darauf, und er lehnte sich an die Schreibtischkante und musterte sie aufmerksam.
    »Welcher sind Sie?« fragte sie ihn.
    Er zog die Braue hoch, und der Schatten eines Lächelns umspielte seinen Mund. »Ich bin Subzwei. Und du?«
    »Ich heiße Mischa.«
    »Was kannst du?«
    »Alles«, sagte sie. »Wenn Sie es mir einmal gezeigt haben.« Er nickte nachsichtig. »Hast du eine Schule besucht? Was ist deine Ausbildung?«
    »Ich habe nur den Namen ›Mischa‹.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Nur Leute aus den Familien haben Nachnamen, und nur für sie gibt es eine Schule.«
    »Ach ja, die Familien ... Sicherlich kannst du lesen?« »Ja.«
    »Wie hast du es gelernt?«
    Sie hob die

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