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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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knochigen Schultern. Sie hatte keine Erinnerung an das Lesenlernen, so wenig wie sie sich daran erinnerte, das Öffnen von Schlössern gelernt zu haben. Vielleicht hatte Chris sie auch Lesen gelehrt, aber sie hatte keine Ahnung, wo er es gelernt haben mochte. »Ich weiß nicht.«
    »Was willst du?«
    »Das Zentrum verlassen. Weg von der Erde. In der Sphäre leben.«
    Er verschränkte die Arme auf der Brust. »Die Erde gefällt dir nicht?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ...« Sie wußte nicht, wie sie es ihm sagen sollte, und sie wollte nicht über ihre Verwandten sprechen. »Weil sie am Absterben ist, aufgehört hat. Sie – sie geht zugrunde ...« Mischa verstummte.
    »Weißt du denn, wie es anderswo auf der Erde aussieht?« Sie zuckte die Achseln.
    »Kennst du andere Gegenden als die Stadt hier, euer Zentrum?«
    »Nein.«
    »Was tust du hier in der Stadt?«
    Sie war nicht ganz sicher, was er fragte. Seine Miene war undurchschaubar, und von Emotionen kam nichts durch. Aber sie blickte ihm in die Augen und sagte: »Ich bin eine Diebin.«
    Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht, eine Reaktion auf etwas, was er für einen Scherz zu halten schien, doch Mischa blieb ernst. »Bist du gut?« fragte er sie.
    »Ich bin gut in allem, was ich tue.«
    »Bescheidenheit scheint deine Tugend nicht zu sein. Meinst du nicht, daß es unrecht ist, zu stehlen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Haben Sie die Bettler gesehen?«
    Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Ja. Hängt das zusammen?«
    »Das ist meine andere Wahl. Oder mich zu verkaufen.«
    »Ich verstehe.« Er winkte ab, als sie etwas hinzufügen wollte, sie merkte, daß er nichts mehr darüber hören wollte.
    »Was geschieht, wenn du erwischt wirst?«
    Mischa zuckte die Achseln. »Man wird bestraft.«
    »Bist du bestraft worden?«
    »Nicht für Diebstahl.«
    Er sah sie so lange wortlos an, daß sie nervös wurde. Als sie
    die Spannung nicht länger aushielt, fragte sie: »Was ist los?« »Ich versuche zu überlegen, was ich mit dir anfangen soll.« »Lehren Sie mich Schiffe fliegen.«
    Er lachte. »Dafür ist mir meine Zeit zu schade. Zuvor würdest du mehrere Jahre der Vorbereitung und Ausbildung brauchen.«
    Mischa errötete, verärgert über sein Lachen. Sie zog die Schultern ein und ließ das Haar über die Augen fallen, um ihn durch diesen Vorhang zu beobachten.
    Er ging um den Schreibtisch, beugte sich über das Eingabegerät und drückte in rascher Folge eine Anzahl von Tasten. Nach einigen Augenblicken hörte Mischa eine Stimme aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage dringen, aber sie war zu leise, als daß sie hätte etwas verstehen können.
    »Ich habe Arbeit für dich«, sagte Subzwei. »Ich glaube nicht, daß sie im Widerspruch zu deiner Ethik stehen wird.« Mischa vermochte nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob die Bemerkung ironisch gemeint war oder nicht.
    Die Antwort aus der Sprechanlage klang müde, aber nicht schläfrig; auch nicht gelangweilt, sondern zustimmend. Subzwei schaltete das Gerät aus und wandte sich zu Mischa. »Du hättest tagsüber kommen sollen.«
    »Ich dachte, dann würde ich es nicht schaffen, hier hereinzukommen.«
    »Hm.« Das erheiterte Lächeln kehrte wieder. »Wärst du hereingekommen, wenn du gewußt hättest, daß du beobachtet wirst?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht. Früher oder später wäre ich zu Ihnen vorgedrungen.«
    Sie warteten schweigend, bis ein barfüßiger Mann hereinkam. Er trug schwarze Hosen und ein schwarzes Übergewand mit einem aufgestickten Drachen in Grün und Gold, der ihm zur Schulter hinaufzukriechen schien. Er warf Mischa einen kurzen Blick zu und nahm abwartend Aufstellung vor Subzwei.
    Seine Erscheinung ähnelte den wenigen anderen Fremden, die Mischa bisher gesehen hatte: die Hautfarbe von einem blassen Gelblichbraun, sehr dunkle Augen, die wegen der Struktur der Augenlider schräggestellt schienen. Aber sein ungekämmtes Haar war blond statt schwarz, durchzogen von weißen Strähnen.
    »Ja?« Wenn Subzweis Anruf ihn geweckt hatte, so schien er nicht verärgert darüber, aber er sah sehr müde aus.
    »Ich habe ein neues Besatzungsmitglied. Ich wäre dankbar, wenn Sie ihr soviel Mathematik beibringen könnten, wie Ihnen möglich ist. Und die anderen grundlegenden Dinge – ihre Ausbildung ist vernachlässigt worden.«
    »In Ordnung.«
    »Sehr gut.«
    Subzwei wandte seine Aufmerksamkeit der Eingabestation zu, und sie waren offensichtlich entlassen. Der blonde Mann machte eine nicht

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