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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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unfreundliche Kopfbewegung zur Tür, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen. Sie verließen Subzweis Räume und gingen zusammen durch den Korridor zum Foyer.
    »Ich bin Jan Hikaru«, sagte der Mann, als sie bei der Lichtkaskade haltmachten. Die schimmernden Lichteffekte wechselten von Violett zu Orange.
    »Ich heiße Mischa.«
    Er ließ sich auf dem Beckenrand nieder und saß vornübergebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Seine Hände waren schmal und knochig, anmutig und kraftvoll wie seine Bewegungen.
    »Was möchtest du lernen?«
    »Alles.«
    Er lächelte, aber es war ein oberflächliches, zerstreutes Lächeln. »Also werden wir von vorn anfangen müssen, mit Algebra, damit du ein Gefühl für die Dinge bekommst. Dann Zahlentheorie und Datenverarbeitung und genug Astronomie, um die Grundbegriffe zu vermitteln. Weißt du schon etwas darüber?«
    »Nein.« Wären seine Fragen nicht so ernsthaft gewesen, so hätte sie geglaubt, er mache sich über sie lustig, und wäre wütend geworden; auch so war ihr Ton scharf, denn sie gab ihre Unwissenheit nur ungern zu.
    Er blickte nachdenklich auf seine Hände. »Ich bin als Lehrer nicht geeignet«, sagte er. »Ich weiß zuwenig. Aber ich werde mein möglichstes tun.«
    Mischa folgte ihm zu einem Raum, der seinem Zimmer gegenüber am gleichen Korridor lag. Er war im traditionellen Stil eingerichtet, wofür sie dankbar war. In Blau und Weiß gehaltene Wandteppiche mit mythologischen Szenen belebten die Wände, und den Boden bedeckte ein weicher, moosgrüner Teppich. Hikaru zeigte ihr die nötigsten Einrichtungen und ließ sie allein, um sich wieder zur Ruhe zu begeben. Sie war bereit, ihn zu mögen.
    Wie sich herausstellte, konnte Mischa nicht schlafen, weder unter den schweren, bestickten Decken noch auf ihnen oder gar am Boden. Lange lag sie im Dunkeln und warf sich unruhig von einer Seite auf die andere. Nach dem gewohnten hallenden Lärm der Schritte und Stimmen in ihrer alten Umgebung empfand sie die Stille als fremd und bedrohlich. Im Halbschlaf sah sie sich bereits auf einer anderen Welt, die von Gestalten aus den Wandteppichen des Palastes bevölkert war. Leuten, die in Felle und Rüstungen gehüllt waren und wie lautlose Erscheinungen durch eine geisterhaft anmutende Welt aus Pflanzen und Bäumen glitten, wie man sie in diesem Teil der Erde seit Jahrhunderten nicht gesehen hatte. Mischa ging auf die Erscheinungen zu, aber sie wichen winkend und lächelnd zurück. Blätter streiften ihr Gesicht und benetzten es mit Tau. Der Himmel war purpurn und schwarz; Sterne bekrönten einen Horizont, während der andere von streifiger Dämmerung erhellt war.
    Ein Gefühl wie Schrecken riß sie aus ihrer Traumfantasie, ein kaltes Frösteln, das sie wie eine Welle überrollte. Sie richtete sich auf, die Finger in den Teppich gekrallt. Die Bilder verschwanden.
    So hatten all ihre Träume geendet, wirkliche wie erdachte. Sie fürchtete um den, in welchem sie jetzt lebte, denn wenn auch er zerbräche, würde es der letzte sein.
    Sie stand auf und schaute durch einen Spalt zwischen den Vorhängen in den Korridor. Niemand war zu sehen, also schlüpfte sie hinaus, um die Umgebung zu erforschen. Der Korridor, an dem ihr Raum lag, endete schon nach wenigen Dutzend Schritten nach einer scharfen Biegung, deren Sinn ihr verborgen blieb. Einen Augenblick lang dachte sie, daß sie um ein anderes Zimmer bitten sollte, eines, das nicht in einer Sackgasse lag, aber dann gab sie den Gedanken auf. Sollte Subzwei nicht Wort halten, so spielte es keine Rolle, ob sie Fluchtwege hatte oder nicht. Dann gäbe es nichts mehr, wohin zu fliehen sich lohnen würde.
    Am anderen Ende des Korridors war der achteckige Vorraum mit der Lichtkaskade, die zu dieser nächtlichen Stunde nur matten Schein ausstrahlte, als brauche auch sie Ruhe. Mischa trat näher und streifte mit den Fingerspitzen über die Oberfläche aus elastischen, metallisch schimmernden Fasern. Sie leuchteten hell auf und verblaßten wieder.
    »Du ...!«
    Mischa floh blindlings vor der Stimme der Sklavenaufseherin, die geräuschlos und ohne telepathische Warnung auf sie zukam. Sie rannte, bis sie ihr Zimmer erreichte, machte im Eingang halt und stellte sich der Verfolgerin. »Lassen Sie mich in Ruhe! Rühren Sie mich nicht an! Diesmal werde ich Sie töten.«
    »Du bist hartnäckig«, sagte die Aufseherin. »Und daß du von Töten sprichst, macht deine Lage nicht besser. Komm freiwillig mit mir, oder ich werde dich von der Palastwache

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