Die Asche der Erde
es sich zur Gewohnheit gemacht, nur direkt gestellte Fragen zu beantworten, keine stillschweigend einbegriffenen. Das war, wenn man so wollte, eine kleine Eigensinnigkeit, die weder identifiziert noch vernünftigerweise beanstandet werden konnte. Diese Ähnlichkeit menschlichen Verhaltens mit dem eines Computers hätte ihm zu einer anderen Zeit vielleicht gefallen, aber nicht jetzt und bei dieser Frau.
»Was geschah?«
»Unsere Herrin ließ sie vor Gericht bringen und mit Auspeitschung bestrafen.«
»Auspeitschung?«
»Ja, Herr.«
Immer häufiger verspürte Subzwei in diesen Tagen das Bedürfnis, seinen Gefühlen durch Fluchen Luft zu machen, aber er hatte noch nicht die Worte gefunden, die ihn zu trösten vermochten. »Dummköpfe«, sagte er. »Ich werde ihnen sagen, daß man sie in Ruhe lassen soll.«
»Wenn ...«
»Ja?«
»Es wäre sicherer für das Kind, wenn es der Herrin nicht vor die Augen käme.«
»Ist sie so nachtragend?«
Die Frau antwortete nicht.
»Gut«, sagte er. »Ich werde Mischa warnen.«
Die Aufseherin neigte den Kopf.
Er wünschte, sie würde ihre ehrerbietige Pose aufgeben, denn eine Pose war es, weiter nichts; ein persönlicher Schutzwall, der ihre Intelligenz und ihren Stolz verbarg. Er hatte viele Menschen gekannt, doch nie war er einem anderen als seinem Pseudozygoten mehr als oberflächlich nahe gekommen, und selbst im Fall von Subeins und ihm war es eine aufgezwungene Nähe gewesen. Er hatte angefangen, auf eine Beziehung zu hoffen, die von Offenheit und Verantwortung geprägt war.
»Ich bedaure, daß ich Sie wegen einer so belanglosen Angelegenheit gestört habe.«
»Es macht mir nichts aus.«
Sie nahm das als eine Verabschiedung und verneigte sich abermals. Als sie sich zum Gehen wandte, machte er eine unwillkürliche Bewegung, wie um sie zurückzuhalten, und sie hörte es und verhielt. »Wünschen Sie noch etwas, Herr?«
In plötzlicher Verwirrung ließ er die Hand sinken. »Ich bin .. . einsam gewesen ...« Etwas Passenderes wollte ihm nicht einfallen.
»Wenn Sie mir sagen würden, was Sie bevorzugen, Herr ...«
Er trat auf sie zu und blickte ihr in die Augen. »Ich bin einsam gewesen«, wiederholte er.
Diesmal verstand sie; sie erschrak und floh drei Schritte, ehe sie wieder stehenblieb. Er hoffte, ihre Reaktion sei eine andere als Furcht. Diesmal wandte sie sich nicht zu ihm um. Er folgte und stand hinter ihr. Die Sehnen und Muskeln ihres Halses waren straff gespannt. Er war versucht, sie zu berühren, zu küssen, den Puls der Schlagader mit den Lippen zu fühlen; er wünschte, sie würde sich plötzlich umwenden und ihn umarmen. Er wollte ihre Zunge an seinen Zähnen und ihre Fingernägel in seinem Rücken spüren. Er wollte sie erforschen, in warmer Dunkelheit mit ihr eins sein. Er hob die Hand, hielt sich aber zurück, als seine Finger den schwarzen Samt ihres Gewandes streiften. Er zitterte.
»Herr ...« Ihre Stimme bebte. Sie brach ab, holte Atem und stand einen Augenblick lang schweigend. »Es gibt andere im Palast. Sie sind ausgebildet.« Sie hatte sich wieder gefangen, die Distanz wieder hergestellt: die vollkommene Dienerin.
»Das kann ich auf der Straße kaufen.«
Sie antwortete nicht. Beide schwiegen.
»Ich habe ... etwas mehr gesucht.«
»Etwas wie Liebe?« sagte sie plötzlich in ironischem Ton. Hätte eine andere in dieser Weise seiner gespottet, er wäre imstande gewesen, sie umzubringen.
»Ist das so lächerlich?«
Sie zuckte unter seinem harten Griff zusammen, wandte sich aber um und sah ihm ins Gesicht. Ihre dunklen Augen glänzten naß. »Wenn Sie mich zu Ihrem Bett rufen, so werde ich mich Ihren Wünschen fügen«, sagte sie. »Das ist Ihr Recht und meine Verpflichtung. Aber ich bin eine Sklavin und kann nicht lieben.«
Er hob die Hand von ihrem Arm, berührte ihre Wange sanft mit den Fingerspitzen, trat dann zurück und verschränkte die Arme. »Gute Nacht.«
Sie neigte den Kopf. »Gute Nacht, Herr.«
Erst als sie die Tür geöffnet hatte und halb draußen war, sagte er: »Oder Sie wollen nicht?«
Sie blickte über die Schulter zu ihm zurück, und ihre Stimme war wieder zurückhaltend. »Wie es Ihnen gefällt.«
Die Tür schloß sich hinter ihr.
Jan Hikaru lag in der Dunkelheit auf seinem Bett und starrte zur Decke auf. Seine depressiven Empfindungen wurden vom Aufenthalt in dieser tiefen Höhle, wo Tausende von Tonnen Felsgestein auf einem lasteten, noch verstärkt. Seine Reaktionen hatten wenig mit Angst zu tun, um so mehr mit
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