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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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sich mit seinen Erklärungen kurz. Er vergegenwärtigte sich, wie wenige geschriebene Hinweise und Schilder er im Zentrum gesehen hatte, was auf einen hohen Prozentsatz von Analphabeten in der Bevölkerung schließen ließ, und wie leicht er Mischa hätte beschämen können, wäre sie des Lesens nicht kundig gewesen. Er war erleichtert, daß diese Peinlichkeit ihr und ihm erspart geblieben war.
    Er suchte den Titel eines elementaren Lehrbuches über die Sphäre für sie heraus, das eine kurzgefaßte Übersicht ihrer Geschichte, der politischen und sozialen Organisation und ihrer kulturellen Entwicklung bot. Es war ein wenig veraltet, aber er kannte es gut und hatte nie ein für diesen Zweck besser geeignetes gefunden. »Lies das, und wenn du fertig bist, komm zurück, daß wir darüber sprechen.«
    Sie nahm seinen Datenanschluß mit und ließ ihn allein. Er verspürte eine unbestimmte Unruhe. Das Fehlen eines festen Tagesrhythmus' im Palast täuschte sein Zeitgefühl. Er meinte eine viel längere Zeit als die wenigen zurückliegenden Tage auf der Erde verbracht zu haben. So kurz aber die seit der Landung verstrichene Zeit war, sie bot keine vernünftige Entschuldigung für die Vernachlässigung seiner einzigen Verantwortlichkeit. Das Versprechen, seine Freundin hier zu begraben, war noch nicht eingelöst; sie lag verhüllt und eingefroren an Bord. Jan Hikaru widerstrebte es, ihren Körper Staub und Verwesung zu überantworten; er mochte nicht zugeben, daß sie tot war. Seit ihrer Ankunft schlief er schlecht. Wenn er im Dunkeln wach lag, sandte sein Bewußtsein Fühler nach ihr aus, die ins Leere griffen; er hörte ihre Stimme in der Nacht und erwachte in absoluter Stille. Er hatte seiner Lebtag zuwenig über den Tod nachgedacht. Vielleicht hing es damit zusammen, daß die mögliche Tröstung des Glaubens an eine Nachwelt in letzter Zeit sehr attraktiv geworden war. Er legte seine Oberkleidung ab, zog die Stiefel aus, nahm in der Mitte des kühlen Raumes Aufstellung und begann mit einer Serie von Freiübungen. Nur von gelegentlichen Positionsänderungen unterbrochen, arbeitete er sich zielstrebig durch ein anstrengendes Programm, bis ihm der Schweiß vom Körper rann und von der Stirn in die Augen sickerte. Erst als er vor Erschöpfung zu zittern begann, hielt er inne, um auszuruhen. Er legte sich für einen Moment aufs Bett; ohne es zu wollen, schlief er ein.
    »Hallo?«
    Er schrak aus seinem Schlummer, desorientiert und verwirrt von der leisen Stimme. »Was? Wer ist da?« Es war mehr ein Ausdruck der Überraschung als eine Frage.
    »Entschuldigung«, sagte Mischa von der Tür her. »Schlafen Sie weiter. Ich komme später noch einmal.«
    »Nein, warte.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das strähnige Haar und schwang die Beine über die Bettkante. Steif von der Anstrengung und der anschließenden Abkühlung, schmerzten seine Muskeln bei jeder Bewegung. Auf der Bettkante sitzend, knetete er sich Oberarme und Schenkel. »Ich wollte nicht schlafen. Ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Nein, aber Sie sagten, ich solle kommen, wenn ich fertig wäre.«
    »Wie spät ist es?« Er hatte nicht das Gefühl, so lange geschlafen zu haben.
    »Beinahe Mittag.«
    »Und du bist fertig?«
    »Ja.«
    »Sehr schön.« Wieder schob er die Finger durch das Haar. »Warte einen Augenblick. Ich muß mir das Gesicht waschen, um einen klaren Kopf zu bekommen.«
    Als er zurückkehrte, klare Wassertropfen am Kinn und an den Haarspitzen im Nacken, fühlte er sich beträchtlich wacher und weniger unsauber. Er ließ sich auf den Teppich nieder und bedeutete Mischa, es ihm gleichzutun. Sie stellte den Datenanschluß behutsam vor ihn hin, als wollte sie ihm noch nachträglich zeigen, mit welcher Sorgfalt sie sein Eigentum behandelt hatte.
    »Wie hast du es gefunden?«
    »Ist das alles wahr?«
    »Ja«, sagte er. »Natürlich.«
    »Ich mußte fragen«, meinte Mischa, »denn hier ist alles anders. Verglichen mit den Orten in diesem Buch, ist es hier – leer ...«
    »Nun ja, leer ... weite Teile der Erde, aber nicht alles.« Er lächelte. »Ob dies oder jenes, was ich dir zu lesen gebe, wahr ist oder nicht, hängt auch von deinem Standpunkt ab, aber ich werde nicht versuchen, dich zu täuschen.«
    Sie begannen über den Inhalt des Buches zu diskutieren, und Mischa sprach ohne Verlegenheit oder Scheu, ohne zuvor auszuforschen, was er meinte, mit einer Direktheit, die Selbstvertrauen ohne Egoismus verriet: Undidaktisch und fähig, Alternativen zu

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