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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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nie gefürchtet. »Mein Vater«, sagte er, »weckt in den Leuten das Gefühl, sie hätten versucht, ihn vorsätzlich zu kränken, wenn sie nicht tun, was er von ihnen erwartet.« Er blickte durch den aufsteigenden Dampf zu Mischa hinüber. »Es dauerte lange, bis ich dahinterkam. Es ist eine sehr wirksame Methode.«
    »Ich verstehe.« Ihr Ton ließ darauf schließen, daß sie Beherrschung durch Manipulation ebenso erfahren hatte wie Beherrschung durch Gewalt. Vielleicht konnte sie daraus verstehen, wie schwierig es war, jemandem Trost zu bieten, der ständig seine Liebe und Fürsorge ausdrückte.
    »Sie werden sich oft Gedanken darüber gemacht haben, wie Ihre Mutter gewesen sein mochte.«
    »Ich habe über sie gelesen«, sagte er. »Ihr Leben ist gut dokumentiert. Murasaki war eine außergewöhnliche Frau.« Um die Wahrheit zu sagen, beneidete Hikaru seine Mutter; er wünschte, er hätte mehr von ihrer Entschiedenheit und Flexibilität geerbt. Sie war eine Entdeckerin gewesen, bis ein schwerer Unfall ihrer ersten Karriere ein Ende machte. Ihre zweite war benthische Architektur: In verschiedenen Teilen der Sphäre gab es dreizehn unterseeische Städte, die sie entworfen hatte.
    »Sie muß eine interessante Frau gewesen sein«, sagte Mischa höflich. »Aber als wirkliche Mutter würde sie nicht viel Zeit für ihre Kinder gehabt haben.«
    »Ja, das ist sicherlich richtig. Aber weißt du was? Ihre Tüchtigkeit hatte nichts mit den Gründen zu tun, die Ichiri bewegten, seine Erbmasse mit der ihrigen zu verbinden.«
    »Was dann?«
    »Ihr Name war es. Bloß der Name. Der alte Roman, von dem ich dir erzählte, wurde von einer japanischen Adligen verfaßt, die Murasaki hieß und sich selbst als Romanfigur verwendete: als Ehefrau des Prinzen Genji.«
    »Sie haben recht. Ihr Vater ist wirklich sonderbar.«
    Hikaru überließ sich den Erinnerungen an seinen Vater, zum erstenmal seit längerer Zeit. Einmal hatten er und Ichiri wochenlang nicht miteinander gesprochen, weil Jan nur auf seinen eigenen Namen hören wollte, den Ichiri ihm nach den Bedingungen von Murasakis Letztem Willen geben mußte. Es war der Name ihres Vaters, eines Mannes, den alte Bilder als einen freundlich blickenden, großen und blonden Mann zeigten, der einer der ersten Siedlerfamilien entstammte. Viele der ursprünglichen Kolonisten waren Holländer gewesen, der Rest Japaner; Ichiris eigener Stammbaum war nicht so reinblütig, wie seine seltsamen Vorstellungen vermuten ließen.
    »Er wollte mich immer Yugiri nennen«, sagte Jan. »Aber Yugiri war nicht Murasakis Kind, nur Genjis.« Er lächelte nachsichtig. »Immer muß er alles durcheinanderbringen.«
    Er warf sein nasses Haar zurück und überließ sich wieder der Gegenwart. Mischa lehnte am Rand des Beckens, die Arme auf den Fels gestützt, das Gesicht von der Hitze gerötet.
    »Was ist mit deiner Familie?« fragte er unvermittelt. »Wirst du niemanden zurücklassen, wenn du von hier fortgehst?«
    Sie antwortete nicht gleich. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich werde niemand zurücklassen.«
    Er schwamm zum Beckenrand und kletterte heraus. Wasser vertropfend, stand er im Dampf am Beckenrand und versuchte seine Ohren vom eingedrungenen Wasser zu befreien. Dann bückte er sich und streckte Mischa die Hand hin. »Komm jetzt heraus. Wenn man es nicht gewohnt ist, sollte man nicht zu lange drinnen bleiben.«
    Sie ergriff seine Hand, stemmte den Fuß gegen die Beckenwand und ließ sich von ihm herausziehen. Als sie sich vorwärts beugte, sah er ihren von schwieligem rosa Narbengewebe verunstalteten Rücken. »Du meine Güte!« platzte er heraus. »Dein Rücken sieht schlimm aus. Wie bist du dazu gekommen?«
    Mischa hüllte sich in ein Badetuch und zuckte die Achseln. »Es war ein Risiko, das ich einging.«
    »Was für ein Risiko?«
    Sie lächelte, aber es war kein angenehmer Ausdruck; er war ironisch und böse. Sie erzählte ihm, wie es sich abgespielt hatte, warum die Aufseherin sie verfolgt und die Herzogin sie vor Gericht gebracht hatte. Er konnte seinen Blick nicht von ihren vernarbten Handgelenken wenden.
    »Und nach dieser Erfahrung«, sagte er, als sie geendet hatte, »brachtest du es fertig, noch einmal hierherzukommen?«
    »Danach mußte ich hierherkommen«, sagte sie. »Es war die letzte Möglichkeit. Es gibt keinen anderen Ort, wo ich es hätte versuchen können.«
    Er hätte ihr gern den Arm um die Schultern gelegt und sie getröstet, aber Mischa schien keiner Tröstung zu bedürfen. Hikaru

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