Die Asche der Erde
geistige Zerrüttung zu versinken.
Der Höhlengang endete in einer steilen und engen Röhre. Über ihr phosphoreszierte ein auf den Stein gemaltes Spinnensymbol silbriggrün im Lampenschirm. Die sorgfältig ausgeführte Zeichnung war das einzige Anzeichen von Menschen, das Jan hier unten bemerkt hatte. Er leuchtete in die Röhre, konnte aber das untere Ende nicht ausmachen. Windungen, Felsvorsprünge und ihre Schlagschatten verhinderten tieferen Einblick. Er faßte Mischa bei den Schultern. »Hör zu, Mischa. Du mußt jetzt versuchen zu verstehen. Weißt du, wo wir sind? Weißt du, was dort unten ist?« Er leuchtete das Zeichen an, dann die Mündung der ausgewaschenen Felsröhre.
Mischa blickte mit verständnislosem Ausdruck hin und schüttelte den Kopf. Jan wußte nicht, ob sie antwortete oder sich weigerte zu antworten.
»Wir sollten lieber einen anderen Weg suchen.«
Plötzlich vergrub sie die Hände in ihrem wirren Haar und ballte sie zu Fäusten. »Nein ...«
Allein der Umstand, daß sie gesprochen hatte, war ihm eine große Erleichterung. »Fühlst du dich besser? Ist alles in Ordnung? Kann ich etwas tun?«
»Einfach – ruhig sein.« Sie sprach langsam und mit sorgfältiger Artikulation. »Seien Sie ruhig, so wie Sie waren«, und er begriff, daß sie nicht Schweigen meinte.
»Ich werde mich bemühen.«
Er bückte sich und kroch in den engen Gang. Dieser war kaum breit genug für seine Schultern, und er mochte nicht darüber nachdenken, wie er wieder herauskommen sollte, falls die Röhre sich noch mehr verengte. Er hörte Mischa nachkriechen und konnte nur hoffen, daß sie ihm weiter folgen würde; an ein Umdrehen war nicht zu denken, er konnte nicht einmal den Kopf wenden. Wenigstens hatte er die Lampe, um zu sehen, wohin die Reise ging.
Stellenweise weitete sich die Röhre ein wenig, und er konnte Mischa sehen. Sie sprach nicht wieder, schien sich aber aus der Teilnahmslosigkeit zurückzuziehen. Mehrere Male galt es Engstellen zu überwinden, die Jan, der sich kaum noch durchzwängen konnte, an den Rand nackter Panik brachten. Der Höhlengang mußte früher einmal vom Wasser ausgespült worden sein, denn bei allen Windungen behielt er einen abwärtsgerichteten Verlauf. Streckenweise bestand er aus trockenem und festem Fels, dann zeigte er sich wieder feucht, lehmig und erschreckend schlüpfrig. Das mühsame Vorwärtskriechen durch die abschüssige Röhre wollte kein Ende nehmen, und es schien Jan, als ob er seit Stunden in dieser höllischen Röhre stecke, die – eine geologische Monstrosität – für immer abwärts führte. Seine Knie und Ellbogen waren abgeschürft, die Hände waren lehmverschmiert und bluteten aus zahlreichen kleinen Schnitten und Rissen. Das ständige Kriechen auf abschüssiger Bahn überanstrengte seine schmerzenden Schultermuskeln. Vor ihm erstreckte sich die Röhre in bedrückender Enge oder schien blind zu enden, wenn eine scharfe Biegung voraus lag. Es war schwierig, die Lampe zu halten und zu kriechen.
Dann glaubte er leichten Luftzug im Gesicht zu fühlen; wenige Meter weiter schien jenseits der beengenden Wände ein größerer offener Raum in Sicht zu kommen. In seiner Ungeduld ließ er alle Vorsicht fahren und schob sich weiter, so schnell er konnte. Nässe glitzerte in blendenden Reflexen an Decke und Boden des Höhlenganges, doch nun konnte er die hohlen Echos einer Höhle hören. Er krabbelte weiter.
Seine Hände griffen in scharfkantige, splittrige Gesteinsbildungen. Er keuchte und zog sich im Reflex zurück. Über ihm zerrissen messerscharfe Grate seine Jacke und schnitten in sein Fleisch, um unter den heftigen Bewegungen seines Körpers mit glasig-sprödem Klang zu zerspringen. Mit einem Aufschrei fiel er wieder vorwärts, verlor den Halt am Rand des abschüssigen Höhlengangs und stürzte in den leeren Raum dahinter. Er verlor die Lampe, die mit metallischem Klappern über steiles Gestein davonrollte. Seine Schulter prallte auf glatten Fels, und er glitt über schlüpfrig-glatte Platten und Wülste, bis er in feuchtem Sand landete. Warmes Blut überrann seine Hände und Unterarme, durchnäßte den Stoff auf seinem Rücken und sickerte ihm über die Rippen. Er fühlte sich wie in Brand gesetzt. Seine Hand streifte den zerfetzten Jackenstoff des Ärmels, und die Nerven kreischten auf.
»Mischa .«
Er konnte nichts sehen; die Angst, daß die Lampe zerbrochen oder daß er erblindet sein könnte, war beinahe gleich. Er begriff, daß er Mischa in dieselbe Falle
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