Die Asche der Erde
sangen wieder.
Mischa entsann sich Jan Hikarus.
Adrenalin pumpte Energie in ihren müden Körper. Sie erhob sich auf die Knie. Das Geschöpf kauerte vor ihr zwischen den scharfkantigen Kristallen, scheinbar unempfindlich gegen sie. Es war kaum als menschlich erkennbar, mit einem breiten und flachen Körper, der vornübergebeugt auf kurzen, krummen Beinen saß, einem Kopf, der sich unmittelbar aus den Schultern zu entwickeln schien und sie aus großen, vorquellenden Augen betrachtete. Es hob die klauenartigen Hände und bewegte hornige Finger mit tickenden Geräuschen gegeneinander. Nur die Daumen waren als gegengestellte, selbständige Gliedmaßen kenntlich; die vier übrigen Finger einer jeden Hand waren zu einem einzigen verschmolzen. Seine Haut war dick und schuppig.
»Ich muß zu Jan«, sagte Mischa, projizierte das Vorstellungsbild und hoffte, das Unterweltgeschöpf werde verstehen. Es zog sich zur Mündung des Höhlengangs zurück und kam außer Sicht.
Mit beiden Händen den Boden vor sich abtastend, kroch Mischa weiter. Der Röhrenausgang war warm genug, daß sie undeutliche Konturen wahrnehmen konnte und die kristallinen Auswüchse oben und unten waren kühler, dunkler, zersplitterte schwarze Klingen. Als ihre Finger scharfe Kanten streiften und das helle, spröde Klingen abbrechender Splitter auslösten, machte sie halt, zog die Beine an und sprang durch die Öffnung.
Sie kam frei von dem gefährlichen Kristallbewuchs der Einmündung, versuchte sich im Fallen herumzuwerfen und landete im lehmigen Sand. Der Bewohner des Untergrunds kauerte neben Jan.
Sein Körper war blutig, sein Bewußtsein sehr still. Mischa hob einen der abgebrochenen Splitter auf und berührte ihn mit der Zungenspitze. Der Geschmack war wie Säure, scharf und beißend. Sie spuckte aus: keine natürliche mineralische Verbindung, sondern eine Kristallisation chemischer Abfälle, die aus den industriellen Fertigungsstätten des Zentrums in das unterirdische Höhlennetz sickerten.
Jans Jacke zerriß, als sie die langen Schnittwunden über seinen Schulterblättern freilegte. Das Blut, offenbar am Gerinnen gehindert, floß reichlich; bei weniger zahlreichen Verletzungen wäre das gut gewesen, aber Mischa wußte, daß der Blutverlust ihn schwächen würde. Durch vorsichtiges Abtasten seiner Schulter entdeckte sie ein hartes, abgesplittertes Stück über seinem Schulterblatt. Als wäre er von einer giftigen Schlange gebissen, beugte sie sich über die Stelle und sog die Wunde aus, bis der Fremdkörper zum Vorschein kam. Sie spuckte ihn aus.
Das Geschöpf kauerte neben ihr und projizierte Sorge und Bedauern, daß es nicht helfen könne.
»Gibt es sonst jemanden hier unten? Gibt es jemanden, den du holen könntest?«
Der Troglodyt eilte ein paar Schritte in die Richtung, wo Mischa den Höhlenausgang mehr vermuten als sehen konnte, und kehrte zurück. Mischa beugte sich wieder über den Verletzten. Sie hatte keine Zeit für Erklärungen.
Sie schmeckte Jans salziges Blut und konnte seinen jagenden Puls fühlen, als sie arbeitete. Aber ihr Bemühen schien hoffnungslos; seine Verletzungen waren zu zahlreich, als daß sie das Gift rechtzeitig heraussaugen könnte.
»Krabbe ?«
Mischa blickte auf, erschrocken über den Klang der Stimme. Der bläuliche Schein von Lichtzellen erhellte den Höhlenraum. Zwei Leute waren hereingekommen und blieben beim Eingang stehen: eine schmächtige und zerbrechlich aussehende rothaarige Frau und ein größerer, hagerer bärtiger Mann. Sie trugen Leder, Spinnenseide und Waffen. Beide starrten Mischa entgeistert an. Sie starrte zurück.
Das Höhlengeschöpf eilte mit tickenden Geräuschen seiner Klauen auf sie zu. Die Frau streckte den Arm nach ihm aus, aber es ließ sich nicht greifen und kehrte zu Mischa zurück. Bei ihr angelangt, berührte es ihre Hand und Jans Haar.
»Er fiel durch die Kristalle«, sagte Mischa mit der Hoffnung, daß sie verstehen würden. »Ich muß die Splitter herausholen.«
Sie kamen näher. Mischa zuckte zurück, als der zottige, wildblickende Mann die Hand nach ihr ausstreckte. Er kniete neben Jan nieder und untersuchte ihn. Die Frau blieb im Hintergrund, aber auch sie kam langsam näher. Mischa sah sie deutlicher und tastete instinktiv nach dem Federmesser in ihrem Gürtel, dann ließ sie die Hand wieder sinken, verwundert, daß sie einen Augenblick so ängstlich gewesen war.
»Wir werden helfen«, sagte die Frau.
Jan blieb bewußtlos, aber Mischa und die Untergrundleute
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