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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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gebrauchen, um dir weh zu tun.«
    Das wollte sie nicht glauben. Sie hatte ihre Gefühle so lange Zeit in Selbstverteidigung für sich behalten, daß sie es nicht glauben konnte. Und sie hatte gedacht, daß sie Jan Hikaru vertrauen könne, aber das Vertrauen war nicht ganz stark genug. Wirre Traumvisionen zogen durch Chris' umnachtetes Bewußtsein und drohten Mischa vollends um ihre Selbstbeherrschung zu bringen. In der Erschöpfung öffnete sein Geist sich tiefer, als sie es je zuvor erfahren hatte; sie wurde Zeugin seiner Qualen und seines Stolzes, seiner Hoffnungen und Schwächen, seiner Niederlagen und Sehnsüchte, als die Tätigkeit der Nervenzellen und Synapsen seines Gehirns durch die Kälte und das Aufhören des Schmerzes eine Verlangsamung erfuhr. Die schwarze Schale wuchs, entzog seinem Körper und der umgebenden Luft Wärme. Mischas Schultern zuckten von unterdrücktem Schluchzen. Mit einer Anstrengung wandte sie den Blick von ihrem Bruder und sah Jan an.
    »Er kümmerte sich um mich, als ich klein war«, sagte sie. »Er zog mich auf. Er gab mir sogar meinen Namen. Er meinte es gut.«
    Nie hatte sie etwas, was ihr teuer war, so unwiderruflich verloren. Was immer sie früher verloren hatte, sie hatte sich sagen können, daß es nicht wirklich wichtig sei. Das war jetzt unmöglich.
    Sie preßte die Fäuste gegen die Stirn, lehnte sich gegen Jans Brust und weinte.
     

12
    Erschöpft von der Anstrengung des weiten Weges, das lahme Bein mühsam nachziehend, stieg Kiri unbeholfen durch die schmale Öffnung in Mischas Höhle, wo sie mit Erleichterung willkommen geheißen wurde. Ihre innere Unruhe, die mit dem Zweck ihres Besuches zusammenhing, war so groß, daß sie kaum Erschrecken über Chris' Zustand zeigen konnte. Sie hatte ihn nicht so sehen wollen und nicht wirklich gedacht, daß sie ihn jemals wiedersehen würde. »Mischa, es tut mir sehr leid ...« Ihre Stimme stockte, sie rang nach Atem wie nach Worten. »Du .... du mußt fort von hier.«
    »Noch nicht.«
    »Alle sind hinter dir her. Die Nachricht verbreitet sich schneller, als ich laufen kann; als ich fortging, hatte sich im Kreis bereits eine Menschenmenge versammelt.«
    »Sie wissen nicht, wo ich zu finden bin.«
    »Es sind Leute vom Schiff dabei. Sie haben Methoden, von denen wir keine Ahnung haben.«
    »Sie hat recht«, sagte Jan.
    Mischa kehrte den beiden den Rücken und beugte sich über Chris. Der schwarze Überzug hatte sich weiter ausgebreitet und lag nun wie ein Helm über Chris' Haar. Kiri war drauf und dran, die Geduld zu verlieren; ihre Sorge um Mischas Wohlergehen lag im Kampf mit ihrem Zorn über Mischas Eigensinn.
    »Sie sind auch hinter Ihnen her«, sagte Kiri zu Jan.
    »Das dachte ich mir.«
    »Es scheint Sie nicht sehr zu beunruhigen.«
    Er zuckte die Achseln.
    »Haben Sie schon einmal erlebt, daß auf Ihren Kopf ein Preis ausgesetzt war?«
    Ungeachtet der Situation und seiner trüben Stimmung mußte er lachen. »Ein Preis? Nein.«
    »Meinen Sie, die Leute jagten Sie aus Liebe zu den Fremden? Sie sind ein gutes Stück Geld wert, also nehmen Sie sich in acht. Niemand wird Ihren schönen Augen zuliebe auf die Belohnung verzichten.«
    »Ich werde den Rat beherzigen.«
    Mischa trat vom Bett zurück. Chris' Züge waren wächsern und unbeweglich; im matten Schein der Lichtzellen schien Mischas Gesicht so blaß wie das ihres Bruders.
    »Mischa!« sagte Kiri.
    Sie antwortete nicht. Ihr Gesichtsausdruck war starr, die Augen blicklos.
    »Schaffen Sie Mischa fort von hier«, sagte Kiri, zu Jan gewandt. »Gehen Sie mit ihr, so weit Sie können, bleiben Sie weg, so lange Sie können. Wenn Sie zurückkehren müssen, kommen Sie bei Nacht, und ich werde versuchen, Ihnen zu helfen; zumindest werde ich wissen, ob Sie noch immer gejagt werden.«
    Sein Ausdruck veränderte sich. Kiri hatte das Gefühl, daß er erst jetzt den Ernst seiner Lage wirklich begriff. Er nickte, faßte Mischas Arm und zog sie zum Ausgang. Mischa folgte ihm mechanisch.
    »Warten Sie«, sagte Kiri. »Haben Sie ein Licht?«
    Er wandte sich zu ihr um. »Nein.«
    »Hier.« Sie streckte ihm ihre Lampe hin. Wie er in der Dunkelheit des Untergrundes überleben sollte, blieb eine offene Frage, aber einstweilen war es die einzige Option.
    »Kiri ...?« Mischas Stimme klang verloren und kindlich. »Es ist schon gut, Mischa, geh nur.«
    Mischa schien sie nicht zu hören. »Nicht viel länger ....« »Schnell jetzt!« zischte Kiri. »Schaffen Sie Mischa fort von hier!«
    Jan nickte ihr

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