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Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vonda N. McIntyre
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außer einmal, als sie hatte fortlaufen wollen, und ihre Erinnerungen an jene Flucht waren von der Gewaltsamkeit der telepathischen Rufe Gemmis überlagert und zerstört worden.
    Jan war noch nicht aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht. Manchmal schlief er wie ein Toter, regungslos, bleich und kalt; manchmal wälzte er sich ruhelos, brennend vor Fieber. Mischa blieb in seiner Nähe, wartete und beobachtete. Es gab keinen Tageszyklus. Im Untergrund lebten und arbeiteten die Menschen nach ihrem eigenen Rhythmus. Noch damit beschäftigt, ihr Gleichgewicht in einer Welt wiederzufinden, wo Chris tot und Krabbe wiederentdeckt war, fand Mischa sich ohne Orientierung. Sie konnte nicht sagen, wie lange Jan bewußtlos geblieben war, und Val wußte es auch nicht. Wenn Simon eine Vorstellung davon hatte, so teilte er sie keinem mit. Krabbe hatte überhaupt kein Zeitgefühl.
     
    Am Ende der nicht näher bestimmbaren Zeit erwachte Jan, und Mischa geriet in neue Sorge. Sie wollte nicht sehen, was sie der Symmetrie seines geistigen Lebens angetan hatte. Zuerst war er benommen, in einem Zustand zwischen Träumen und Wachen, indem er sich wohl zu fühlen schien. Sie berührte ihn erst, als sie fühlte, daß er im Begriff war, sich zu bewegen.
    »Liegen Sie still!«
    Er gehorchte. Nach einem Moment schlug er die Augen auf, und seine Ruhe begann sich zu verlieren. »Ah ... wo ... Ich . ich erinnere mich.«
    Sie spürte den Schmerz, der sich nur um seine Augen zeigte: eine Bereitschaft, zusammenzuzucken, die vordem nicht dagewesen war. Aber er faßte sich, und Mischas Wahrnehmung von ihm löste sich auf. Wenn sie wegsah, merkte sie kaum, daß er da war. »Es tut mir sehr leid«, sagte sie. »Ich wünschte, Sie könnten alles, was vorgefallen ist, vergessen, bis Sie wiederhergestellt sind.« Es schien nicht richtig, daß sie an seinen Schmerzen nicht teilhaben konnte. »Ich wollte, ich hätte Sie nicht in diese Sache hineingezogen ...«
    Er streckte die Hand nach ihr aus. Sie war bis zu den Ellbogen bandagiert.
    »Lassen Sie ...«
    Die kaum verheilten Narben der Schnittwunden lagen wie ein Netz über seinen Schulterblättern; als er den Arm bewegte, glaubte Mischa die Wunden aufplatzen zu sehen. Hastig ergriff sie sein Handgelenk und hielt ihn zurück. Er verzog das Gesicht und schloß die Augen.
    »Val ...«
    Mischa fühlte sich krank vor Hilflosigkeit. Val tauchte aus den bräunlichen Schatten im Hintergrund der Höhle, einen ledernen Wasserschlauch in den Händen. Sie kniete neben ihnen nieder. Mischa beneidete sie um ihre ausgeglichene innere Ruhe und versuchte sie nachzuahmen, indem sie ihr Bewußtsein zu Gelassenheit und Hinnahme formte. Dann wurde ihr klar, daß Val sich nicht um Jan sorgte; es war ihr gleich, ob er lebte oder starb, gesund wurde oder ein Krüppel blieb, denn er gehörte nicht zu ihren Leuten. Als sie diese Stelle von Argwohn und Kälte berührte, zog Mischa sich zurück. Sie konnte es verstehen, aber nicht akzeptieren.
    Val zog den Stopfen und setzte Jan die Tülle des Lederschlauchs an die Lippen. Eine milchige Flüssigkeit rann in seinen Mund und übers Kinn; er verschluckte sich, hustete, holte hastig Atem, was ihm Schmerzen bereitete. »Trink!« sagte Val mit harter Stimme. Er schluckte gehorsam, ohne zu würgen, und als er getrunken hatte, ließ er den Kopf zurücksinken und drehte ihn auf die Seite, daß seine Schläfe auf dem gewachsenen Fels des Höhlenbodens ruhte. Unzusammenhängende Gedanken gingen Mischa durch den Kopf. Als Val den Schlauch wieder zustopfte, waren ihre Hände wie rotweiße Vögel, die an diesem himmelslosen Ort miteinander schnäbelten. Der Schlauch war wie der Hinterleib einer Spinne, weich und rund und gefüllt mit etwas, dem man nicht traute.
    »Was hast du ihm gegeben?«
    »Einen Trunk, der seine Schmerzen lindern wird. Nur das.«
    »Es ... ist ... besser«, sagte Jan langsam. Jedes Wort war von den anderen durch eine Pause getrennt. »Es ist schon besser .. . kann ich... einen Schluck Wasser haben?«
     
    Später aß er ein wenig. Krabbe war sehr geschickt im Fang von blinden Höhlenfischen. Ausgenommen, ergab jeder von ihnen nicht mehr als einen Bissen. Mischa brachte Jan einige. »Es ist roher Fisch«, sagte sie. »Sie sind gesünder so, aber wenn Sie wollen, könnte ich sie kochen.«
    Jan hob den Kopf. Seine Augen schienen trüb; er mußte sich konzentrieren, wenn er etwas genau sehen wollte, aber er bewegte Kopf und Arme, ohne zusammenzuzucken. »Roh ist in Ordnung«, sagte er.

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