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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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ist schlimmer, als zur Gesellschaft vom Hl. Vincent de Paul zu gehen, es ist schlimmer, als mit den Kesselflickern und Abdeckern auf der Straße zu betteln. Es ist das Letzte, was man tut, um selbst nicht ins Armenhaus zu kommen und damit die Kinder nicht ins Waisenhaus kommen.
     
     
    Ich habe eine Stelle über der Nase zwischen den Augenbrauen, grau und rot, und sie juckt. Oma sagt, faß die Stelle nicht an und komm nicht mit Wasser in die Nähe, sonst breitet sie sich aus. Wenn man sich den Arm bräche, würde sie auch sagen, komm da nicht mit Wasser dran, sonst breitet es sich aus. Die Stelle breitet sich trotzdem bis in meine Augen aus, jetzt sind sie von dem nässenden Kram rot und gelb, und morgens kleben sie zusammen. Sie kleben so fest, daß ich meine Augenlider mit den Fingern auseinanderziehen muß, und Mam muß den gelben Kram mit Wasser und Borpuder abschrubben. Die Wimpern fallen aus, und jedes Staubkorn von Limerick weht mir an windigen Tagen in die Augen. Oma sagt mir, ich habe nackte Augen, und sie sagt, ich habe selber schuld, der ganze Ärger mit den Augen kommt nur daher, daß ich bei jedem
Wetter unter dem Laternenpfahl sitze und die Nase in die Bücher stecke, und genau dasselbe wird mit Malachy passieren, wenn er’s nicht drangibt mit dem ewigen Gelese. Und mit Michael wird es noch genauso schlimm, wie er die Nase in die Bücher steckt, statt draußen zu spielen wie ein gesundes Kind. Bücher, Bücher, Bücher, sagt Oma, ihr werdets euch die Augen noch mal endgültig ruinieren.
    Sie trinkt Tee mit Mam, und ich höre sie flüstern, was er braucht, ist die Spucke des heiligen Antonius.
    Was ist das? sagt Mam.
    Die Fastenspucke am Morgen. Geh zu ihm, bevor er aufwacht, und spuck ihm auf die Augen, denn die Spucke einer fastenden Mutter hat große Heilkraft.
    Aber ich bin immer vor Mam wach. Ich öffne gewaltsam die Augen, lange bevor sie sich regt. Ich kann hören, wie sie sich anschleicht, und wenn sie über mir steht, um zu spucken, mache ich die Augen auf. Gott, sagt sie, du hast die Augen offen.
    Ich glaub, es geht ihnen schon besser.
    Das ist gut, und sie geht wieder ins Bett.
    Die Augen heilen nicht, und sie geht mit mir zur Armenapotheke, wo die armen Leute zum Arzt gehen und ihre Medizin kriegen. Da bewirbt man sich auch um staatliche Unterstützung,
wenn ein Vater tot oder verschwunden ist und es kein Stempelgeld, keinen Lohn gibt.
    An den Wänden vor den Arztpraxen stehen Bänke. Auf den Bänken sitzen immer dicht gedrängt Leute, die über ihre Gebrechen reden. Alte Männer und Frauen sitzen und stöhnen, und Babys kreischen, und Mütter sagen, ist ja gut, Kleines, ist ja gut. In der Mitte des Raumes steht eine hohe Plattform mit einem brusthohen Tresen rundherum. Wenn man irgendwas will, steht man in einer Schlange vor dieser Plattform, um mit Mr. Coffey oder Mr. Kane zu sprechen. Die Frauen in der Schlange sind wie die Frauen in der Gesellschaft vom Hl. Vincent de Paul. Sie tragen Umhänge, und sie bekunden Mr. Coffey und Mr. Kane Respekt, denn wenn sie das nicht tun, kriegen sie vielleicht gesagt, sie sollen weggehen und nächste Woche wiederkommen, wo sie aber doch genau jetzt in dieser Minute staatliche Unterstützung oder eine Bescheinigung für den Arzt brauchen. Mr. Coffey und Mr. Kane lachen gern und herzlich, wenn die Frauen da sind. Mr. Coffey und Mr. Kane entscheiden, ob man so ein verzweifelter Fall ist, daß man staatliche Unterstützung braucht, oder ob man krank genug ist, daß man einen Arzt braucht. Man muß ihnen vor versammelter Mannschaft erzählen, was einem fehlt, und darüber lachen sie dann gern herzlich. Sie sagen, und was wollen Sie, Mrs. O’Shea? Eine Bescheinigung
für den Arzt, stimmt’s? Was fehlt Ihnen denn, Mrs. O’Shea? Schmerzen, ach ja? Vielleicht eine kleine Blähung? Oder vielleicht zuviel Kohl. O ja, der Kohl ist an so manchem schuld. Sie lachen, und Mrs. O’Shea lacht, und alle Frauen lachen und sagen, Mr. Coffey und Mr. Kane sind ja urkomisch, wenn sie wollten, könnten sie Laurel und Hardy brotlos machen.
    Mr. Coffey sagt, nun, Frau, wie heißen Sie?
    Angela McCourt, Sir.
    Und was ist mit Ihnen los?
    Es ist mein Sohn, Sir. Seine beiden Augen sind nicht in Ordnung.
    Das sind sie bei Gott wirklich nicht, gute Frau. Ganz verzweifelt schlecht sehen diese Augen aus. Sie sehen aus wie zwei aufgehende Sonnen. Die Japsen könnten sie auf ihrer Flagge verwenden, hahaha.
    Hat er sich Säure ins Gesicht gekippt oder was?
    Es ist irgendeine Sorte von

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