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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Wir haben einen Vater in England, so daß wir uns alles, was wir wollen, in Kathleen O’Connells Laden besorgen können, und zahlen tun wir, wenn er in vierzehn Tagen das erste Geld schickt. Mam sagt Bridey, sie kann es gar nicht erwarten, daß sie aus dieser verdammten Gasse rauskommt, und zwar wohin, wo es ein anständiges Klo gibt, das wir nicht mit der halben Welt teilen müssen. Wir werden alle neue Schuhe und Mäntel kriegen, die den Regen abhalten, und nicht völlig verhungert aus der Schule nach Hause kommen. Sonntags gibt es Eier mit Speckstreifen zum Frühstück und Schinken mit Kohl und Kartoffeln zum Mittagessen. Wir werden elektrisches Licht haben und warum eigentlich nicht? Sind Frank und Malachy etwa nicht in Amerika geboren, wo das jeder hat?
    Alles, was wir jetzt tun müssen, ist, zwei Wochen warten, bis der Telegrammjunge an die Tür klopft. Dad wird sich bei seinem Job in England
eingewöhnen und sich Arbeitskleidung kaufen und was zu wohnen besorgen müssen, deshalb wird die erste Geldanweisung nicht hoch sein, drei Pfund oder drei Pfund zehn, aber bald werden wir sein wie andere Familien in der Gasse, fünf Pfund die Woche, Schulden abzahlen, neue Sachen zum Anziehen kaufen, ein bißchen sparen für die Zeit, wenn wir zusammenpacken und ganz nach England gehen, und dann da sparen, um nach Amerika zu gehen. Mam könnte selbst einen Job in einer englischen Fabrik kriegen und Bomben oder irgendwas machen, und wir würden uns bei Gott nicht wiedererkennen mit dem ganzen Geld, das überall hereinfließt. Sie wäre zwar nicht froh, wenn wir mit einem englischen Akzent heranwüchsen, aber besser mit englischem Akzent als mit leerem Bauch. Bridey sagt, es ist egal, welche Sorte Akzent ein Ire hat, denn er wird nie vergessen, was die Engländer uns achthundert lange Jahre lang angetan haben.
    Wir wissen, was Samstage in der Gasse bedeuten. Wir kennen einige Familien wie die Downes gegenüber, die ihr Telegramm schon früh bekommen, weil Mr. Downes ein solider Mensch ist, der weiß, wie man freitags ein bis zwei Pints trinkt und dann nach Hause ins Bett geht. Wir wissen, daß Männer wie er noch in derselben Minute, in der sie ihr Geld kriegen, aufs Postamt rennen, damit ihre Familien keine Minute des Wartens und
der Sorge kennenlernen. Männer wie Mr. Downes schicken ihren Söhnen Royal-Air-Force-Abzeichen mit Flügeln, die sie auf der Jacke tragen können. So was wollen wir auch, und das haben wir Dad auch gesagt, bevor er uns verließ, vergiß die RAF-Abzeichen nicht, Dad.
    Wir sehen die Telegrammjungens, wenn sie schwungvoll auf dem Fahrrad in unsere Gasse einbiegen. Es sind glückliche Telegrammjungens, denn die Trinkgelder, die sie in den Gassen kriegen, sind größer als alles, was sie in den tollen Straßen und Avenuen kriegen, wo einem die reichen Leute den Dampf ihrer Pisse nicht gönnen.
    Die Familien mit den frühen Telegrammen haben dies zufriedene Aussehen. Sie haben den ganzen Samstag vor sich, um das Geld zu genießen. Sie werden einkaufen, sie werden essen, sie werden den ganzen Tag Zeit haben zu überlegen, was sie am Abend machen werden, und das ist schon fast so schön wie das, was sie dann am Abend machen, denn der Samstagabend, wenn man ein paar Shilling in der Tasche hat, ist der prachtvollste Abend der Woche.
    Es gibt Familien, die das Telegramm nicht jede Woche kriegen, und man erkennt sie an ihrem besorgten Aussehen. Mrs. Meagher wartet schon seit zwei Monaten jeden Samstag an der Tür. Meine Mutter sagt, sie würde sich ihres Lebens schämen, so an der Tür zu warten. Alle Kinder
spielen auf der Gasse und passen auf, wann der Telegrammjunge kommt. Hoi, Telegrammjunge, hast du was für Meagher dabei? und wenn er sagt, nein, sagen sie, bist du sicher? und er sagt, natürlich bin ich sicher. Ich weiß doch wohl, was ich in meiner beschissenen Tasche habe.
    Jeder weiß, daß die Telegrammjungens nach dem Angelusläuten um sechs nicht mehr kommen, und die Dunkelheit bringt der Frau und den Kindern die Verzweiflung.
    Telegrammjunge, kuckst du noch mal in deiner Tasche nach? Bitte. Ach, Gott.
    Hab ich schon. Hab nix für euch.
    Ach, Gott, bitte kuck nach. Wir heißen Meagher. Kuckst du nach?
    Ich weiß verdammtnochmal, daß ihr Meagher heißts, und ich habe nachgekuckt.
    Die Kinder klammern sich an ihn auf seinem Fahrrad, und er tritt nach ihnen, Herrgott, verschwindets endlich.
    Sobald um sechs Uhr abends das Angelusläuten erklingt, ist der Tag vorüber. Die mit den Telegrammen

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