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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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essen, von ihrem elektrischen Licht taghell ausgeleuchtet, zu Abend, und die, die keine Telegramme gekriegt haben, müssen Kerzen anzünden und sehen, ob sie vielleicht noch einmal bei Kathleen O’Connell bis nächste Woche um dieselbe Zeit, wenn ganz bestimmt mit Gottes und Seiner Gebenedeiten Mutter Hilfe das Telegramm
kommt, Tee und Brot anschreiben lassen können. Mr. Meehan oben in der Gasse ist zusammen mit Dad nach England gegangen, und als der Telegrammjunge bei den Meehans anhält, wissen wir, daß wir als nächstes dran sind. Mam hat ihren Mantel parat, um aufs Postamt zu gehen, aber sie wird den Stuhl beim Feuer in Italien nicht verlassen, bevor sie das Telegramm in Händen hält. Der Telegrammjunge fährt durch die Gasse und zu den Downes hinüber. Er überreicht ihnen ihr Telegramm, nimmt das Trinkgeld und wendet sein Fahrrad, um wieder aus der Gasse hinauszufahren. Malachy ruft, Telegrammjunge, hast du was für McCourt? Unseres kommt heute. Der Telegrammjunge schüttelt den Kopf und radelt davon.
    Mam pafft an ihrer Woodbine. Na ja, wir haben ja noch den ganzen Tag, obwohl ich gern ein bißchen früher einkaufe, bevor bei Barry dem Metzger die besten Schinken weg sind. Sie muß beim Feuer bleiben, und wir müssen auf der Gasse bleiben, aus Angst, der Telegrammjunge könnte kommen und niemanden zu Hause vorfinden. Dann müßten wir bis Montag warten, um die Postanweisung einzulösen, und das wurde uns das ganze Wochenende verderben. Wir müßten mit ansehen, wie die Meehans und alle anderen in ihren neuen Klamotten herumstolzieren und mit Eiern und Kartoffeln und Würsten für den
Sonntag beladen nach Hause wanken und am Samstag abend ins Kino abdampfen. Nein, keinen Zoll weit können wir uns entfernen, bis dieser Telegrammjunge kommt. Mam sagt, zwischen zwölf und zwei sollen wir uns nicht zuviel Sorgen machen, denn viele Telegrammjungens haben dann Mittagspause, und zwischen zwei und dem Angelusläuten kommt bestimmt der ganz große Andrang. Bis etwa sechs Uhr brauchen wir uns nicht die allergeringsten Sorgen zu machen. Wir halten jeden Telegrammjungen an. Wir sagen ihm, daß wir McCourt heißen, daß dies unser erstes Telegramm ist, drei Pfund oder noch mehr müßten es sein, vielleicht haben sie vergessen, unseren Namen draufzuschreiben oder unsere Adresse, ist er da auch ganz sicher? Ist er da auch ganz sicher? Ein Junge sagt uns, er wird sich auf dem Postamt erkundigen. Er sagt, er weiß, wie es ist, wenn man auf das Telegramm wartet, denn sein eigener Vater ist ein versoffener alter Scheißkerl in England drüben, der noch nie einen Penny geschickt hat. Mam hört im Haus, was er sagt, und sagt uns, man soll nie so über seinen Vater sprechen. Derselbe Telegrammjunge kommt kurz vor dem Angelusläuten um sechs noch mal und sagt uns, er hat Mrs. O’Connell vom Postamt gefragt, ob sie heute irgendwann was für McCourt reingekriegt haben, aber es war nichts. Mam wendet sich ab und starrt auf die tote Asche und saugt am allerletzten
bißchen Genuß in der Woodbine, der sich zwischen dem braunen Daumen und dem verbrannten Mittelfinger gesammelt hat. Michael, der erst fünf ist und nichts versteht, bis er elf ist wie ich, will wissen, ob wir heute abend Fisch mit Fritten essen gehen, weil er nämlich Hunger hat. Mam sagt, nächste Woche, Schatz, und er geht wieder zurück zum Spielen auf die Gasse.
    Man weiß nicht, was man mit sich anfangen soll, wenn das erste Telegramm nicht kommt. Man kann nicht den ganzen Abend auf der Gasse bleiben und mit seinen Brüdern spielen, weil alle anderen reingegangen sind und man sich schämen würde, draußen auf der Gasse zu bleiben und sich vom Geruch von Würsten, Speckstreifen und gebratenem Brot quälen zu lassen. Man will das elektrische Licht nicht sehen, das aus den Fenstern kommt, wenn es dunkel ist, und man will nicht die Nachrichten von der BBC oder Radio Eireann im Radio von anderen Leuten hören. Mrs. Meagher und ihre Kinder sind ins Haus gegangen, und aus ihrem Küchenfenster kommt nur das trübe Licht einer Kerze. Sie schämen sich auch. Am Samstagabend bleiben sie drin, und am Sonntagmorgen gehen sie nicht mal in die Messe. Bridey Hannon hat Mam gesagt, Mrs. Meagher befindet sich permanent in einem Zustand der Scham, weil sie solche Lumpen tragen, und sie ist so verzweifelt, daß sie zur Armenapotheke geht,
um staatliche Unterstützung zu kriegen. Mam sagt, das ist das Schlimmste, was einer Familie passieren kann. Es ist schlimmer als Stempelngehen, es

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