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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Krankenschwester sagt, na na, na na, wir wollen uns doch nicht am hellerlichten Tag ins Bett legen. So ein schwerer Fall bist du doch nicht.
    Krankenhäuser sind sonderbar. Man darf keine Gedichte über rotlippige Töchterlein und erschossene Wegelagerer aufsagen, man darf nicht mit Seumas, der die Station saubermacht, singen, sie stecken einen zum Weihnachtsessen ganz allein in ein Zimmer und kriegen einen Anfall, wenn man den Nachtisch vor dem Truthahn ißt. Man darf sich nicht hinlegen, wenn der Schädel in Flammen steht, man muß neben seinem Bett sitzen und sich anhören, wie die anderen Patienten stöhnen und klopfen und den himmlischen Gott anrufen.
    Ich muß mit geschlossenen Augen dasitzen, und alles wird braun und schwarz, schwarz und braun, und ich bin sicher, ich träume, denn ich höre die Stimme von Seumas, der Krankenzimmer saubermacht, Herrgott in der Höhe, ist das der kleine Kerl mit dem Typhus, der kleine Frankie, der Mond, einer Geistergaleone gleich, geworfen auf wolkige See, bist du das selbst, Frankie,
denn bin ich etwa nicht befördert und aus dem Fieberhospital versetzt worden, Gott sei Dank, wo es jede Sorte von Krankheit gibt und man nie weiß, welche Bazillen man der Frau zu Hause in der Kleidung mitbringt, und was ist mit dir, Frankie, und den beiden Augen in deinem Kopf, ganz braun sind sie geworden.
    Ich hab eine Entzündung, Seumas.
    Yerra, das gibt sich wieder, bevor du verheiratet bist, Frankie … Die Augen brauchen Übung. Der Blinzler ist von großem Wert für die Augen. Ich hatte einen Onkel mit schlechten Augen, und der Blinzler hat ihn gerettet. Jeden Tag saß er eine Stunde blinzelnd da, und das ist ihm bis zu seinem Ende geblieben. Endete mit kraftvollen Augen, o ja.
    Ich möchte ihn weiter zum Blinzler und den kraftvollen Augen befragen, aber er sagt, und erinnerst du dich an das Gedicht, Frankie, das wunderschöne Gedicht von Patricia?
    Er steht mit seinem Mop und seinem Eimer auf dem Gang zwischen den Betten und sagt das Wegelagerergedicht auf, und alle Patienten hören auf zu stöhnen, und die Nonnen und Krankenschwestern stehen und lauschen, und Seumas trägt vor und vor und vor, bis er zum Schluß kommt, und alle geraten völlig aus dem Häuschen und klatschen und lassen ihn hochleben, und er erzählt der Welt, er liebt dieses Gedicht,
er wird es immer im Kopf haben, egal, wohin er geht, und wenn Frankie McCourt und sein Typhus, er hier, nicht gewesen wären und die arme Patricia Madigan mit der Diphtherie, verlassen hat sie uns, gebe Gott ihr die ewige Ruhe, hätte er das Gedicht nie kennengelernt, und hier bin ich, berühmt in der Augenabteilung des Städtischen Heimkrankenhauses, und alles wegen Seumas.
    Mam kann mich nicht jeden Tag besuchen kommen, der Weg hier heraus ist weit, sie hat nicht immer das Geld für den Bus, und das Gehen ist übel für ihre Hühneraugen. Sie findet, meine Augen sehen schon besser aus, obwohl man das bei dem vielen braunen Kram nicht recht beurteilen kann, der aussieht und riecht wie Jod, und falls es so was ist wie Jod, muß es furchtbar brennen. Immerhin heißt es ja, nur bittere Pillen wirken schnell. Sie bekommt die Erlaubnis, mich, wenn das Wetter sich bessert, auf einen kleinen Gang über das Gelände mitzunehmen, und da bietet sich uns ein seltsamer Anblick, da steht nämlich Mr. Timoney mit dem Rücken gegen die Hauswand gelehnt, wo die alten Leute sind, die Augen gen Himmel gerichtet. Ich möchte mit ihm sprechen, und ich muß Mam um Erlaubnis fragen, weil man in einem Krankenhaus nie weiß, was richtig und falsch ist.
    Mr. Timoney.
    Wer ist das? Wen haben wir hier?

    Frank McCourt, Sir.
    Franziskus, ah, Franziskus.
    Mam sagt, ich bin seine Mutter, Mr. Timoney.
    Wie schön, da seid ihr beide ja gesegnet. Ich habe weder Kind noch Kegel, noch auch nur Macushla, meinen Hund. Und was führt dich an diesen Ort, Franziskus?
    Ich habe eine Entzündung in meinen Augen.
    Ach, Jesus, bitte nicht die Augen, Franziskus. Muttergottes, dazu bist du doch zu jung.
    Mr. Timoney, soll ich Ihnen vielleicht vorlesen?
    Mit den Augen, Franziskus? Nein, nein, mein Sohn. Schone die Augen. Ich habe das Lesen hinter mir. Ich habe alles im Kopf, was ich brauche. Ich war schlau genug, mir den Kopf in meiner Jugend zu füllen, und jetzt habe ich eine Bibliothek im Kopf. Die Engländer haben meine Frau erschossen. Die Iren haben meine arme unschuldige Macushla eingeschläfert. Ist diese Welt nicht ein Witz?
    Mam sagt, schreckliche Welt, aber Gott ist

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