Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
warmes Wetter gewohnt. Mam sitzt fröstelnd vor dem Feuer, und wir wissen, daß etwas nicht stimmt, als sie sich keine Zigarette anzünden will. Sie sagt, sie spürt, daß eine Erkältung im Anzug ist, und sie hätte gern etwas Säuerliches zu trinken, eine Limonade. Aber es ist kein Geld im Haus, nicht mal für Brot am Morgen. Sie trinkt Tee und geht ins Bett.
Das Bett quietscht die ganze Nacht, weil sie sich herumwirft und -wälzt, und wir können nicht einschlafen, weil sie immer stöhnt, sie will Wasser. Am Morgen bleibt sie im Bett, immer noch fröstelnd, und wir verhalten uns ganz still. Wenn sie lange genug schläft, ist es für Malachy und mich zu spät für die Schule. Stunden vergehen, und sie rührt sich immer noch nicht, und als ich weiß, daß die Gefahr des Schulbesuchs endgültig gebannt ist, mache ich Feuer für den Kessel an. Sie regt sich und ruft nach Limonade, aber ich
gebe ihr ein Marmeladenglas mit Wasser. Ich frage sie, ob sie etwas Tee möchte, und sie benimmt sich wie eine Frau, die plötzlich taub geworden ist. Sie hat einen roten Kopf, und es ist seltsam, daß sie Zigaretten nicht mal erwähnt.
Wir sitzen still beim Feuer, Malachy, Michael, Alphie und ich. Wir trinken unseren Tee, während Alphie das letzte Stückchen Zuckerbrot kaut. Wir müssen darüber lachen, wie er sich den Zucker auf dem ganzen Gesicht verschmiert und uns mit seinen dicken klebrigen Backen anstrahlt. Aber zu sehr können wir nicht lachen, sonst springt Mam aus dem Bett und schickt Malachy und mich in die Schule, wo man uns umbringen wird, weil wir zu spät gekommen sind. Wir lachen nicht lange, denn es ist kein Brot mehr übrig, und wir haben Hunger, wir vier. Bei O’Connell können wir nicht mehr anschreiben lassen. In Omas Nähe wagen wir uns auch nicht. Sie schreit uns die ganze Zeit an, weil Dad aus dem Norden ist und aus England nie Geld nach Hause schickt, wo er doch in einer Munitionsfabrik arbeitet. Oma sagt, von ihr aus können wir gern verhungern. Das wäre Mam eine Lehre, daß man keinen Mann aus dem Norden mit bleicher Gesichtsfarbe, einer komischen Art und mit diesem ganz allgemein presbyterianischen Aussehen heiratet.
Trotzdem muß ich es noch einmal bei Kathleen
O’Connell versuchen. Ich werde ihr sagen, meine Mutter liegt oben krank im Bett, meine Brüder verhungern, und bald sind wir alle aus Brotmangel tot.
Ich ziehe mir Schuhe an und laufe schnell durch die Straßen von Limerick, damit ich den Dezemberfrost nicht spüre. Es ist wunderschön, aus den Radios der Leute Weihnachtslieder zu hören, und ich denke, es muß wunderschön sein, in einer Küche zu sitzen und sich mit Marmeladenbrot vollzustopfen und Weihnachtsmusik zu hören. Man kann den Leuten in die Fenster kukken und sehen, wie gemütlich es in ihren Küchen ist, Kaminfeuer leuchten oder Herdplatten glänzen schwarz und heiß alles hell im elektrischen Licht Tassen und Untertassen auf dem Tisch mit Tellern und geschnittenem Brot drauf pfundweise Butter Gläser mit Marmelade Düfte von Spiegel- oder Rühreiern und Speckstreifen dringen durch die Fenster nach draußen daß einem das Wasser im Mund zusammenläuft und die Familien sitzen da und buddeln in all dem herum und lächeln und die Mutter resch und reinlich mit ihrer Schürze alle frisch gewaschen und das Allerheiligste Herz Jesu sieht von der Wand auf alle herunter leidend und traurig aber doch froh über das viele Essen und Licht und gute Katholiken beim Frühstück.
Ich versuche, im eigenen Kopf Musik zu finden,
aber ich finde nur meine Mutter, die stöhnt, sie will Limonade.
Limonade. Da fährt gerade ein Lieferwagen vor South’s Kneipe weg, der Bier- und Brausekästen abgeladen hat, und auf der Straße ist keine Menschenseele. In Sekundenschnelle habe ich zwei Flaschen Limonade unter dem Pulli, und ich schlendere so unschuldig wie möglich davon.
Vor Kathleen O’Connells Laden steht ein Brotwagen. Hinten ist die Ladefläche offen, und innen sind Regale mit dampfendem frischgebackenem Brot. Der Fahrer ist auf einen Tee und ein Rosinenbrötchen bei Kathleen im Laden, und es ist gar nicht schwer, einen Laib Brot zu nehmen. Es ist falsch, bei Kathleen zu stehlen, so gut, wie sie immer zu uns ist, aber wenn ich hineingehe und sie um Brot bitte, wird sie sich ärgern und mir sagen, ich vergälle ihr ihren Morgentee, den würde sie nämlich gern mal in Ruhe, Frieden und ohne Hetze zu sich nehmen, danke schön. Es ist leichter, das Brot unter meinen Pulli zur Limonade zu
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