Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
ist froh, daß McCourt nicht aus Limerick ist und Schande über diese altehrwürdige Stadt bringt. Die Friedensrichter in Coventry verlieren langsam die Geduld, und wenn Malachy McCourt nicht mit diesem verdammten Unsinn aufhört, wird er noch des ganzen Landes verwiesen.
Mam sagt Bridey, sie weiß nicht, was sie mit
diesen Geschichten aus England machen soll, sie war noch nie im Leben so verzweifelt. Sie merkt bereits, daß Kathleen O’Connell ihr im Laden keinen Kredit mehr geben will, und ihre eigene Mutter kläfft sie an, wenn sie um ein Darlehen in Höhe eines Shillings bittet, und die Gesellschaft vom Hl. Vincent de Paul will wissen, wann sie nicht mehr um Almosen bettelt, besonders wo sie doch einen Mann in England hat. Sie schämt sich, wie wir aussehen mit den schmutzigen alten zerrissenen Hemden, zerlumpten Pullovern, kaputten Schuhen, Löchern in den Strümpfen. Nachts liegt sie wach und denkt, das Barmherzigste wäre, die vier Buben in ein Waisenhaus zu stecken, damit sie selbst nach England gehen und sich irgendeine Arbeit suchen kann, um uns nach einem Jahr alle nachkommen zu lassen, ins bessere Leben. Zwar gibt es da möglicherweise Bomben, aber Bomben sind ihr jederzeit lieber als die Schande, bei diesem und bei jenem zu betteln.
Nein, ganz egal, den Gedanken, uns ins Waisenhaus zu stecken, erträgt sie nicht. Das wäre schön und gut, wenn es hier so was gäbe wie Boys’ Town in Amerika mit einem netten Priester wie Spencer Tracy, aber den Christlichen Brüdern draußen in Glin, die sich dadurch in Form halten, daß sie ihre Schutzbefohlenen verprügeln und aushungern, möchte man nicht trauen müssen.
Mam sagt, uns bleibt nur die Armenapotheke
mit der staatlichen Unterstützung, die Fürsorge, und sie schämt sich ihres Lebens, daß sie da hingehen und darum bitten muß. Das bedeutet, daß man das Ende der Fahnenstange erreicht hat und vielleicht nur noch eine Handbreit über Kesselflickern, Abdeckern und Straßenbettlern im allgemeinen angesiedelt ist. Es bedeutet, daß man vor Mr. Coffey und Mr. Kane kriechen muß und Gott danken, weil die Armenapotheke am andern Ende der Stadt liegt, so daß die Leute in unserer Gasse nicht merken, daß wir Fürsorge kriegen.
Sie weiß von anderen Frauen, daß es weise ist, schon früh am Morgen dort zu sein, wenn Mr. Coffey und Mr. Kane vielleicht noch guter Stimmung sind. Wenn man später am Morgen hingeht, kann es gut sein, daß sie, nachdem sie Hunderte von Männern, Frauen und Kindern gesehen haben, die krank sind und um Hilfe bitten, griesgrämig sind. Sie wird uns mitnehmen, um zu beweisen, daß sie vier Kinder durchzufüttern hat. Sie steht früh auf und sagt uns, wir sollen uns einmal im Leben nicht das Gesicht waschen, uns nicht kämmen, uns die ältesten Lumpen anziehen. Mir sagt sie, ich soll mir die entzündeten Augen ordentlich reiben, damit sie richtig rot werden, denn je schlimmer man in der Armenapotheke aussieht, desto mehr Mitleid erregt man und desto besser stehen die Chancen, daß man die staatliche Unterstützung kriegt. Sie
beklagt sich, weil Malachy, Michael und Alphie ausgerechnet an diesem Tag der Tage nicht den üblichen Schorf am Knie oder die gelegentlichen Schnittwunden oder wenigstens ein blaues Auge haben. Wenn wir auf der Gasse oder in den Straßen von Limerick jemanden treffen sollten, dürfen wir auf keinen Fall sagen, wohin wir gehen. Sie schämt sich schon genug, ohne daß man es der ganzen Welt erzählen und dann abwarten muß, bis die eigene Mutter es erfährt.
Vor der Armenapotheke ist bereits eine Schlange. Da sind Frauen wie Mam mit Kindern auf dem Arm, Babys wie Alphie, und Kinder, die auf dem Pflaster spielen. Die Frauen drücken wegen der Kälte die Babys an sich und schreien die spielenden Kinder an, damit sie nicht auf die Straße rennen und von einem Auto oder Fahrrad angefahren werden. Alte Männer und Frauen kauern sich gegen die Mauer und reden mit sich selbst oder gar nicht.
Mam warnt uns, wir sollen ja nicht weggehen, und wir warten eine halbe Stunde, bis die große Tür geöffnet wird.
Ein Mann sagt uns, wir sollen immer schön der Reihe nach eintreten und uns ordentlich hintereinanderweg vor der Plattform aufstellen, und Mr. Coffey und Mr. Kane sind in einer Minute da, wenn sie im Nebenzimmer ihren Tee ausgetrunken haben.
Eine Frau beschwert sich, ihre Kinder frieren in der Kälte, und Coffey und Kane sollen sich mal ein bißchen beeilen mit ihrem blöden Tee.
Der Mann sagt, sie ist eine
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