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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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stopfen und zu geloben, daß ich alles in der Beichte sage.
    Meine Brüder sind wieder im Bett und spielen unter den Mänteln, aber sie springen, als sie das Brot sehen. Wir reißen das Brot auseinander, weil wir zu hungrig sind, es in Scheiben zu schneiden, und wir machen noch einmal Tee aus den Teeblättern von heute morgen. Als meine Mutter sich
rührt, hält Malachy ihr die Limonadenflasche an die Lippen, und sie schlürft keuchend, bis die Flasche leer ist. Wenn sie das so gern mag, muß ich noch mehr Limonade finden.
    Wir legen die letzte Kohle aufs Feuer und sitzen im Kreis und erzählen Geschichten, die wir uns ausdenken, wie Dad es immer gemacht hat. Ich erzähle meinen Brüdern von meinen Abenteuern mit der Limonade und dem Brot, und ich erfinde Geschichten, wie ich von Kneipenwirten und Gemischtwarenhändlern gejagt wurde und wie ich in die Josephskirche gerannt bin, wohin einem niemand folgen darf, wenn man ein Verbrecher ist, nicht mal wenn man die eigene Mutter umgebracht hat. Malachy und Michael kucken schockiert, wie ich das Brot und die Limonade besorgt habe, aber dann sagt Malachy, das war nur das, was Robin Hood auch gemacht hätte, die Reichen beraubt und den Armen gegeben. Michael sagt, ich bin ein Geächteter und vogelfrei, und wenn sie mich fangen, knüpfen sie mich am höchsten Baum im Volkspark auf, genauso wie Geächtete in Filmen im Lyric Cinema aufgeknüpft werden. Malachy sagt, ich soll ja aufpassen, daß ich im Stande der Gnade bin, weil es sonst vielleicht schwer wird, einen Priester zu finden, der zu meiner Hinrichtung kommt. Ich sage ihm, ein Priester muß sowieso zu meiner Hinrichtung kommen. Dazu sind Priester da. Roddy
McCorley hatte einen Priester und Kevin Barry auch. Malachy sagt, als Roddy McCorley und Kevin Barry gehängt wurden, waren keine Priester dabei, weil sie in den Liedern nicht erwähnt werden, und er beginnt die Lieder zu singen, um es zu beweisen, bis meine Mutter im Bett stöhnt und sagt, haltsmaul.
    Alphie das Baby schläft auf dem Fußboden beim Feuer. Wenn wir ihn zu Mam ins Bett legen, damit er es warm hat, steckt er sich bei ihr an und stirbt. Wenn sie aufwacht und ihn neben sich tot im Bett findet, wird des Lamentierens kein Ende sein, und obendrein kriege ich dann noch die Schuld.
    Wir drei gehen wieder in unser Bett, kuscheln uns unter den Mänteln zusammen und versuchen, nicht in das Loch in der Matratze zu fallen. Das ist ganz angenehm, bis Michael anfängt, sich Sorgen zu machen, daß Alphie Mams Krankheit kriegt und ich als Geächteter gehängt werde. Er sagt, das wäre nicht gerecht, weil er dann nur noch einen Bruder hat, und alle auf der Welt haben jede Menge Brüder. Vor lauter Sorgen schläft er ein, und bald nickt auch Malachy ein, und ich liege da und denke an Marmelade. Wäre es nicht wunderschön, noch einen Laib Brot zu haben und dazu ein Glas Erdbeermarmelade oder irgendeine Art von Marmelade? Ich erinnere mich nicht, je einen Marmeladenwagen gesehen zu haben,
der eine Lieferung macht, und ich möchte nicht wie Jesse James in einen Laden platzen und verlangen, daß man die Marmelade herausgibt. Das würde bestimmt zum Tod durch den Strang führen.
    Durch das Fenster kommt eine kalte Sonne, und ich bin sicher, daß es draußen wärmer ist, und wären meine Brüder nicht überrascht, wenn sie aufwachten, und ich wäre da, mit noch mehr Brot und Marmelade. Sie würden alles in sich hineinschlingen und sich dann über meine Sünden und die Hinrichtung auslassen.
    Mam schläft immer noch, aber ihr Gesicht ist rot, und es klingt erstickt, wenn sie schnarcht.
    Ich muß auf der Straße vorsichtig sein, denn heute ist Schule, und wenn gárda Dennehy mich sieht, wird er mich in die Schule zerren, und Mr. O’Dea wird mich durch die ganze Klasse prügeln. Der gárda ist für die Einhaltung der Schulpflicht zuständig, und er liebt es, einen mit dem Fahrrad zu jagen und am Ohr zur Schule zu schleifen.
    Vor einem der großen Häuser in der Barrington Street steht ein Karton. Ich tue, als wenn ich an die Tür klopfe, um zu sehen, was in dem Karton ist, eine Flasche Milch, ein Laib Brot, Käse, Tomaten und, o Gott, ein Glas Orangenmarmelade. Ich kann mir das nicht alles unter den Pulli stopfen. O Gott. Soll ich den ganzen Karton nehmen? Die Leute gehen an mir vorbei, ohne auf
mich zu achten. Da kann ich auch den ganzen Karton nehmen. Meine Mutter würde sagen, für ein Schaf hängt man genauso wie für ein Lamm. Ich hebe den Karton auf und versuche

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