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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Irische See ist zu dieser Jahreszeit immer ziemlich aufgewühlt.
    Er kommt nicht, Mam. Wir sind ihm egal. Er sitzt jetzt drüben in England und ist betrunken.
    Sprich nicht so über deinen Vater.
    Ich sage nichts mehr. Ich sage ihr nicht, daß ich gern einen Vater hätte wie den Mann im Stellwerk, der einem Stullen und Kakao gibt.
    Am nächsten Tag kommt Dad zur Tür herein.
Seine oberen Zähne fehlen, und er hat einen Bluterguß unter dem linken Auge. Er sagt, die Irische See war rauh, und als er sich aus dem Schiff lehnte, fielen die Zähne raus. Mam sagt, es waren nicht zufällig Getränke im Spiel oder etwa doch? Es war nicht zufällig eine Schlägerei im Spiel?
    Och, nein, Angela.
    Michael sagt, du hast gesagt, du bringst uns was mit, Dad.
    Stimmt genau.
    Er holt eine Schachtel Pralinen aus seinem Koffer und überreicht sie Mam. Sie macht sie auf und zeigt uns, wie sie von innen aussieht, wo die Hälfte der Pralinen bereits weg ist.
    Kannst du die noch entbehren? sagt sie. Sie macht die Schachtel wieder zu und stellt sie auf den Kaminsims. Morgen nach unserem Weihnachtsessen gibt es die Pralinen.
    Mam fragt ihn, ob er wohl Geld mitgebracht hat. Er sagt ihr, die Zeiten sind schwer, Jobs sind dünn gesät, und sie sagt, das kann doch nicht dein Ernst sein. Es ist Krieg, und alles, was es in England überhaupt gibt, sind Jobs. Du hast das Geld vertrunken, stimmt’s?
    Du hast das Geld vertrunken, Dad.
    Du hast das Geld vertrunken, Dad.
    Du hast das Geld vertrunken, Dad.
    Wir schreien so laut, daß Alphie anfängt zu
weinen. Dad sagt, och, Jungs, na na, Jungs. Etwas Respekt für euern Vater, wenn ich bitten darf.
    Er setzt seine Mütze auf. Er muß noch mit einem Mann reden. Mam sagt, geh, rede mit diesem Mann, aber komm nicht heute nacht betrunken nach Hause und singe nicht Roddy McCorley oder was anderes.
    Er kommt betrunken nach Hause, aber er verhält sich ruhig und schläft auf dem Fußboden neben Mams Bett ein.
    Am nächsten Tag gibt es ein Weihnachtsessen, weil Mam einen Essensgutschein von der Gesellschaft vom Hl. Vincent de Paul gekriegt hat. Es gibt Schafskopf, Kohl, mehligweiße Kartoffeln und eine Flasche Apfelwein, weil Weihnachten ist. Dad sagt, er hat keinen Hunger, er trinkt etwas Tee, pumpt Mam um eine Zigarette an. Sie sagt, iß was, es ist Weihnachten.
    Er sagt ihr wieder, daß er keinen Hunger hat, aber wenn sie sonst keiner will, ißt er die Schafsaugen. Er sagt, das Auge ist voller Nährstoffe, und wir alle machen Geräusche des Ekels. Er spült sie mit seinem Tee hinunter und raucht den Rest seiner Woodbine. Er setzt seine Mütze auf und geht nach oben, um seinen Koffer zu holen.
    Mam sagt, wohin willst du?
    London.
    Heute am Tag des Herrn? Weihnachten?
    Das ist der beste Tag zum Reisen. Die Menschen
in den Automobilen werden dem arbeitenden Manne immer eine Mitfahrgelegenheit nach Dublin verschaffen. Sie denken nämlich gerade an die Heilige Familie und wie schwer sie es hatte. Und wie willst du ohne einen Penny auf das Schiff nach Holyhead?
    Genauso wie ich hergekommen bin. Irgendwann kuckt immer keiner.
    Er küßt jeden von uns auf die Stirn, sagt uns, seid artige Jungs, gehorcht Mam, sprecht eure Gebete. Er sagt Mam, er wird schreiben, und sie sagt, o ja, genauso wie du immer schreibst. Er steht mit seinem Koffer vor ihr. Sie steht auf, holt die Pralinenschachtel und bietet allen was an. Sie steckt sich eine Praline in den Mund und nimmt sie wieder heraus, weil sie zu hart ist und sie sie nicht kauen kann. Ich habe eine weiche, und ich biete sie zum Tausch gegen die harte an, die länger halten wird. Sie ist sahnig und schwer, und in der Mitte ist eine Nuß. Malachy und Michael beschweren sich, weil sie keine Nuß abgekriegt haben, und warum kriegt Frank immer die Nuß? Mam sagt, was meint ihr mit immer? Dies ist die erste Schachtel Pralinen unseres Lebens.
    Malachy sagt, in der Schule hat er die Rosine im Rosinenbrötchen abgekriegt, und alle Jungs haben gesagt, er hat sie an Paddy Clohessy weiterverschenkt, also warum hat er uns nicht die Nuß abgegeben?

    Mam sagt, weil Weihnachten ist und er schlimme Augen hat und die Nuß gut für entzündete Augen ist.
    Michael sagt, werden durch die Nuß seine Augen besser?
    Ja.
    Wird dadurch ein Auge besser, oder werden alle beide Augen besser?
    Alle beide, glaube ich.
    Malachy sagt, wenn ich noch eine Nuß hätte, würde ich sie ihm für seine Augen schenken.
    Mam sagt, das weiß ich doch.
    Dad beobachtet uns noch einen Moment beim Pralinenessen.

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