Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
Wort zu Wort.
All diese jungfräulichen Märtyrerinnen kriegen von römischen Richtern gesagt, sie sollen ihren Glauben aufgeben und die römischen Götter anbeten, aber sie sagen nein, und die Richter lassen sie foltern und töten. Meine Lieblingsheilige ist die hl. Christina die Erstaunliche, bei der es endlos dauert, bis sie tot ist. Der Richter sagt, schneidet ihr die Brust ab, und als sie sie ihr abschneiden, schmeißt sie sie dem Richter ins Gesicht, und davon wird er taub, stumm und blind. Ein anderer Richter übernimmt den Fall, und der sagt, schneidet ihr auch noch die andere Brust ab, und es passiert das gleiche. Sie versuchen sie mit Pfeilen zu erschießen, aber die prallen einfach von ihr ab und töten die Soldaten, die sie abgeschossen
haben. Sie versuchen sie in Öl zu sieden, aber sie schaukelt in dem Bottich und macht ein Nickerchen. Dann haben die Richter es satt und lassen ihr den Kopf abhacken, und das bringt es endlich. Der Tag der hl. Christina der Erstaunlichen ist der vierundzwanzigste Juli, und ich glaube, den werde ich, zusammen mit dem Tag des hl. Franziskus von Assisi, dem vierten Oktober, immer in Ehren halten.
Die Bibliothekarin sagt, du mußt jetzt nach Hause, es hat aufgehört zu regnen, und als ich zur Tür hinausgehe, ruft sie mich zurück. Sie will mir ein paar Zeilen an meine Mutter mitgeben, und ich darf sie notfalls auch gern selbst lesen. In dem Briefchen steht: Liebe Mrs. McCourt, gerade wenn man denkt, Irland ist endgültig vor die Hunde gegangen, sieht man einen Jungen, der in der Leihbücherei sitzt und so vertieft in Das Leben der Heiligen ist, daß er es nicht merkt, wenn es aufgehört hat zu regnen, und man ihn von oben erwähntem Leben förmlich losreißen muß. Ich glaube, liebe Mrs. McCourt, Sie haben da einen zukünftigen Priester im Hause, und in der Hoffnung, daß dies eintreffen möge, werde ich eine Kerze anzünden. Ich verbleibe hochachtungsvoll, Ihre Catherine O’Riordan, Bibl.-Ass.
Hoppy O’Halloran ist der einzige Lehrer in Leamy’s Schule, der jemals sitzt. Das liegt daran, daß er der Schulleiter ist, oder daran, daß er sich von dem verdrehten Gang ausruhen muß, der von dem kurzen Bein kommt. Die anderen Lehrer gehen vorne im Klassenzimmer hin und her oder im Mittelgang auf und ab, und man weiß nie, wann man einen Hieb mit dem Stock oder einen Ratscher mit dem Riemen verpaßt kriegt, weil man die falsche Antwort gibt oder etwas schlampig schreibt. Wenn Hoppy einem etwas antun will, ruft er einen nach vorn und bestraft einen vor drei Klassen.
Es gibt gute Tage, da sitzt er hinter seinem Pult und spricht über Amerika. Er sagt, ihr Buben, von den gefrorenen Einöden Nord-Dakotas bis zu den duftenden Apfelsinenhainen Floridas genießen die Amerikaner ein jegliches Klima. Er spricht über amerikanische Geschichte und sagt, wenn der amerikanische Farmer, mit Steinschloßgewehr und Muskete, den Engländern einen Erdteil abringen konnte, dann können auch wir, Krieger seit je, gewißlich unsere Insel zurückerobern.
Wenn wir nicht wollen, daß er uns mit Algebra oder irischer Grammatik quält, brauchen wir ihm nur eine Frage über Amerika zu stellen, und das regt ihn so auf, daß er vielleicht den ganzen Tag beschäftigt ist.
Er sitzt an seinem Pult und rezitiert die Stämme
und Häuptlinge, die er liebt. Arapaho, Cheyenne, Chippewa, Sioux, Apatschen, Irokesen. Poesie, ihr Buben, Poesie. Und hört euch die Häuptlinge an, Kicking Bear, Rain-in-the-Face, Sitting Bull, Crazy Horse – und das Genie, Geronimo.
In der achten Klasse verteilt er ein kleines Buch, ein Gedicht, das sich über Seiten und Seiten und Seiten hinzieht, Das verlassene Dorf, von Oliver Goldsmith. Er sagt, dies scheint ein Gedicht über England zu sein, es ist aber ein Klagegesang über das Vaterland des Dichters, über unser eigenes Vaterland, über Irland. Wir kriegen dieses Gedicht zum Auswendiglernen auf, jeden Abend vierundzwanzig Zeilen, die morgens aufgesagt werden müssen. Sechs Jungens werden zum Aufsagen nach vorne gerufen, und wenn man eine Zeile ausläßt, kriegt man auf jede Hand je zwei Hiebe. Er sagt uns, legt die Bücher unters Pult, und die ganze Klasse sagt im Chor die Stelle über den Dorfschulmeister auf:
Jenseits des Zauns, der lang den Weg begleitet,
Jenseits des Ginsters, der mehr blüht, als er bedeutet,
Dort thronte einst ein Herrscherlein auf einem dürren Stuhle,
Und was er dort befehligte, war eine kleine Schule.
Ein Mann von strengem Äußern
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