Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
abwischt. Er trinkt sein Stout und lacht, daß es nichts Schöneres gibt als ein großes blutiges Steak am Freitagabend, und wenn das die schlimmste Sünde ist, die er je begeht,
fährt er mit Leib und Seele in den Himmel auf, hahaha.
Natürlich kannst du mein Fahrrad haben, sagt er. Ein Junge sollte in der Lage sein, hinaus aufs Land zu fahren. Natürlich. Aber du mußt es dir verdienen. Man kann nicht etwas für gar nichts kriegen, stimmt’s?
Stimmt.
Und ich habe einen Job für dich. Du hast doch nichts gegen eine kleine Beschäftigung?
Nein.
Und du würdest gern deiner Mutter helfen?
Ja.
Tja, nun, jenes Nachtgeschirr ist nun schon seit heute morgen voll. Ich möchte, daß du hochkletterst und es holst und es aufs Klo trägst und es hinterher unter dem Wasserhahn ausspülst und dann wieder damit hochkletterst.
Ich möchte seinen Nachttopf nicht ausleeren, aber ich träume davon, meilenweit über die Landstraße nach Killaloe zu radeln, von Feldern und vom Himmel, vom Schwimmen im Shannon, vom Übernachten in einer Scheune. Ich ziehe den Tisch und den Stuhl gegen die Wand. Ich klettere hinauf, und unter dem Bett steht der weiße Nachttopf mit braunen und gelben Streifen, bis zum Rand mit Pisse und Scheiße gefüllt. Ich stelle ihn an den Rand des Speicherbodens, vorsichtig, damit er nicht überschwappt, steige
auf den Stuhl hinunter, hole den Nachttopf nach, wende das Gesicht ab, halte ihn schön fest, als ich auf den Tisch steige, stelle ihn auf den Tisch, steige auf den Fußboden, bringe den Nachttopf aufs Klo, kippe ihn aus, und hinter dem Klo wird mir erst mal schlecht, bis ich mich an den Job gewöhnt habe.
Laman sagt, ich bin ein braver Junge, und das Fahrrad gehört mir, solang das Nachtgeschirr immer leer ist und ich ihm immer Zigaretten hole sowie Bücher aus der Leihbücherei und sonst alles mache, was er will. Er sagt, du hast wirklich ein Händchen für das Nachtgeschirr. Er lacht, und Mam starrt die tote Asche im Kamin an.
Eines Tages regnet es so heftig, daß Miss O’Riordan, die Bibliothekarin, sagt, geh bloß jetzt nicht in diesen Regen hinaus, sonst ruinierst du noch die Bücher. Setz dich da drüben hin und benimm dich. Während du wartest, kannst du alles über die Heiligen nachlesen.
Es gibt vier große, dicke Bücher, Das Leben der Heiligen von Butler. Ich will mein Leben nicht damit verbringen, alles mögliche über Heilige zu lesen, aber als ich anfange, finde ich, es könnte immer so weiterregnen. Immer wenn man Bilder von Heiligen sieht, egal, ob Männer oder Frauen, blicken sie gen Himmel empor, wo sich Wolken
befinden, die mit kleinen fetten Engeln angefüllt sind, welche Blumen oder Harfen tragen und den Herrn preisen. Onkel Pa Keating sagt, er kann sich keinen einzigen Heiligen im Himmel vorstellen, mit dem er sich hinsetzen und eine Pint trinken möchte. Die Heiligen in diesen Büchern sind anders. Da gibt es Geschichten über Jungfrauen, Märtyrer, jungfräuliche Märtyrerinnen, und sie sind schlimmer als jeder Gruselfilm im Lyric Cinema.
Ich muß im Lexikon nachschlagen, um herauszufinden, was eine Jungfrau ist. Ich weiß, daß die Heilige Muttergottes die Jungfrau Maria ist, und man nennt sie so, weil sie keinen ordentlichen Ehemann hatte, nur den armen alten hl. Joseph. In Das Leben der Heiligen geraten die Jungfrauen immer in Schwierigkeiten, und ich weiß nicht, warum. Im Lexikon steht, Jungfrau, Frau (gewöhnlich jung), welche sich in einem Zustand unangetasteter Keuschheit befindet und in diesem verbleibt.
Jetzt muß ich unangetastet und Keuschheit nachschlagen, und alles, was ich hier finde, ist, daß unangetastet das Gegenteil von angetastet bedeutet, und Keuschheit bedeutet keusch, und das bedeutet frei von gesetzwidrigem geschlechtlichen Interkursus. Jetzt muß ich Interkursus nachschlagen, aber zwischen interkurrrierend und Interlaken steht nichts, und ich lese einfach weiter
bis Intromission, Eindringen des männlichen Kopulationsorgans in die Scheide. Kopulation bedeutet Vereinigung der Geschlechter zum Zwekke der Fortpflanzung, und ich weiß nicht, was das bedeutet, und ich bin es leid, in dem schweren Lexikon von einem Wort zum andern geschickt zu werden wie ein Vollidiot, und das alles nur, weil die Leute, die das Lexikon geschrieben haben, nicht wollen, daß unsereins irgendwas erfährt.
Ich will doch nur wissen, wo ich hergekommen bin, aber wenn man jemanden fragt, sagen sie einem, man soll jemand anderen fragen, oder sie schicken einen von
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