Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
gefallen oder sonstwas? Eine Frau spricht mit mir. Komm her, Süßer, willst du was zu naschen? Ich nicke, und sie sagt, gut, dann streck deine Hand aus. Sie pult sich etwas Klebriges aus dem Mund und legt es mir auf die Hand. Bitte sehr, sagt sie, ein leckres Karamelbonbon. Steck’s dir in den Mund. Ich will es mir nicht in den Mund stecken, weil es klebt und naß ist von ihrem Mund, aber ich weiß nicht, was man macht, wenn eine Frau in einer Zelle einem ein klebriges Karamelbonbon anbietet, und ich will es mir schon in den Mund stecken, als ein gárda
kommt, das Karamelbonbon nimmt und es der Frau an den Kopf schmeißt. Du versoffene Hure, sagt er, laß das Kind zufrieden, und alle Frauen lachen.
Der Sergeant gibt meiner Mutter eine Decke, und sie legt sich auf eine Bank und schläft. Wir anderen liegen auf dem Fußboden. Dad sitzt mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die Augen unter seinem Mützenschirm offen, und er raucht, wenn die gárdaí ihm Zigaretten geben. Der gárda, der, der Frau das Karamelbonbon an den Kopf geschmissen hat, sagt, er ist aus Ballymena im Norden, und er redet mit Dad über Leute, die sie da kennen, und über Leute in anderen Städten wie Cushendall und Toome. Der gárda sagt, eines Tages wird er Pension kriegen, und dann wird er an den Ufern des Lough Neagh leben und den lieben langen Tag angeln. Aale, sagt er, jede Menge Aale. Lieber Herr Jesus, für einen gebratenen Aal vergeß ich mich doch glatt. Ich frage Dad, ist das Cuchulain? und der gárda lacht, bis er rot im Gesicht ist. Heilige Muttergottes, habt ihr das gehört? Der Bursche will wissen, ob ich Cuchulain bin. Ein kleiner Yank, und weiß alles über Cuchulain.
Dad sagt, nein, er ist nicht Cuchulain, aber er ist ein guter Mann, der an den Ufern des Lough Neagh leben und den lieben langen Tag angeln wird.
Dad schüttelt mich. Auf, Francis, auf. Es ist laut auf der Wache. Ein Junge wischt den Fußboden und singt:
Von deinem Mund wollte ich einen Kuß.
Aus gutem Grund sagte ich mir: Ich muß!
Denn ich trau mir nicht zu,
Daß jemand wie du
Mich lieben könnte, mich lieben … Ref 5
Ich sage ihm, das ist das Lied meiner Mutter und er soll aufhören zu singen, aber er pafft nur den Rauch von seiner Zigarette in die Luft und geht weiter, und ich frage mich, warum jemand die Lieder von anderen Leuten singen muß. Männer und Frauen kommen aus den Zellen und gähnen und grunzen. Die Frau, die mir das Karamelbonbon geschenkt hat, bleibt stehen und sagt, ich hatte einen Tropfen getrunken, Kind. Tut mir leid, daß ich dich angepflaumt habe, aber der gárda aus Ballymena sagt ihr, geh bloß weiter, du alte Hure, sonst sperr ich dich gleich wieder ein.
Kannst mich gern einsperren, sagt sie. Rein, raus. Ist doch mir so wurscht, du blauärschiger Schweinehund.
Mam setzt sich auf der Bank auf, die Decke hat sie um sich gewickelt. Eine Frau mit grauen Haaren bringt ihr eine große Tasse Tee und sagt, schon gut, ich bin die Frau vom Sergeant, und er
hat gesagt, ihr braucht vielleicht Hilfe. Möchten Sie vielleicht ein schönes weichgekochtes Ei, Missis?
Mam schüttelt den Kopf, nein.
Na na, Missis, in Ihrem Zustand kommt aber doch ein schönes kleines Ei wie gerufen.
Aber Mam schüttelt den Kopf, und ich frage mich, wie sie zu einem weichgekochten Ei nein sagen kann, wo es doch auf der Welt nichts Schöneres gibt.
Na gut, Ma’am, sagt die Frau des Sergeants, dann eben ein bißchen Toast und etwas für die Kinder und Ihren armen Mann. Sie geht in ein anderes Zimmer zurück, und bald gibt es Tee und Brot. Dad trinkt seinen Tee, aber sein Brot gibt er uns, und Mam sagt, willst du wohl dein Brot essen, um Gottes willen. Du wirst uns nicht viel nützen, wenn du uns vor Hunger umkippst. Er schüttelt den Kopf und fragt die Frau des Sergeants, besteht wohl die Möglichkeit, eine Zigarette zu kriegen. Sie bringt ihm die Zigarette, und zu Mam sagt sie, die Männer auf dem Revier haben für uns gesammelt, damit wir mit dem Zug nach Limerick fahren können. Ein Auto wird unseren Überseekoffer und uns abholen und zum Bahnhof Kingsbridge fahren, und in drei bis vier Stunden seid ihr dann in Limerick.
Mam hebt die Arme und fällt der Frau des Sergeants um den Hals. Gott segne Sie und Ihren
Mann und alle anderen auch, sagt Mam. Ich weiß nicht, was wir ohne Sie gemacht hätten. Gott weiß, es ist was Wunderschönes, wieder unter seinesgleichen zu sein.
Das ist doch das mindeste, was wir tun konnten, sagt die Frau des Sergeants. So liebe
Weitere Kostenlose Bücher