Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen
englisch nuscheln. Sie sagt, es ist zu schade, daß du aus deinem Erstkommunionsanzug herausgewachsen bist, aber es gibt nichts, wessen du dich schämen müßtest, denn du kommst aus gutem Geblüt, von den McCourts, den Sheehans oder meiner Familie mütterlicherseits, den Guilfoyles, die in der Grafschaft Limerick Hektar um Hektar Land besaßen, bevor es die Engländer wegnahmen und an Straßenräuber aus London verteilten.
Dad hält mich an der Hand, während wir durch die Straßen gehen, und die Leute sehen uns an, weil wir vorwärts und rückwärts lateinisch reden. Er klopft an die Tür der Sakristei und sagt zu Stephen Carey, dies ist mein Sohn, Frank, der das Lateinische kann und bereit ist, Meßdiener zu werden.
Stephen Carey sieht erst ihn an und dann mich. Er sagt, wir haben keinen Platz für ihn, und macht die Tür wieder zu.
Dad hält mich immer noch an der Hand, und er drückt sie, bis sie weh tut und ich laut weinen möchte. Auf dem Nachhauseweg sagt er nichts. Er nimmt die Mütze ab, setzt sich ans Feuer und steckt sich eine Woodbine an. Mam raucht ebenfalls. Und? sagt sie. Wird er nun Meßdiener?
Sie haben keinen Platz für ihn.
Oh. Sie pafft an ihrer Woodbine. Ich werde dir sagen, woran es liegt, sagt sie. Es liegt am Klassenunterschied. Sie wollen keine Jungs aus dem Gassenviertel hinter dem Altar. Sie wollen keine mit verschorften Knien und abstehenden Haaren. O nein, sie wollen die netten Jungs mit Haaröl und neuen Schuhen, die Väter mit Anzug und Schlips und geregeltem Einkommen haben. Daran liegt es, und es ist schwer, am Glauben festzuhalten, wenn man sieht, welcher Dünkel damit verbunden ist.
Och, aye.
Ach, och aye am Arsch. Was anderes fällt dir nie ein. Du könntest doch zum Priester gehen und ihm sagen, daß du einen Sohn mit einem Kopf hast, der mit Latein vollgestopft ist, und warum er kein Meßdiener werden kann und was er mit diesem ganzen Latein anfangen soll?
Och, er könnte ja später mal Priester werden.
Ich frage ihn, ob ich vor die Tür und spielen gehen darf. Ja, sagt er, geh vor die Tür und spiel.
Mam sagt, ja, warum eigentlich nicht.
6
Mr. O’Neill ist der Lehrer in der vierten Klasse. Wir nennen ihn Dotty, Pünktchen, weil er so klein ist wie ein Punkt. Er unterrichtet in dem einen Klassenzimmer, das vorne eine Plattform hat, damit er über uns stehen und uns mit seinem Eschenstock drohen und seinen Apfel so schälen kann, daß wir es alle sehen. Am ersten Schultag im September schreibt er drei Wörter an die Tafel, die das ganze Jahr dort stehenbleiben sollen, Euklid, Geometrie, Idiot. Er sagt, wenn er einen Knaben dabei erwischt, daß er sich an diesen Wörtern zu schaffen macht, dann wird dieser Knabe sein weiteres Leben mit nur einer Hand zubringen müssen. Er sagt, jeder, der die Theoreme des Euklid nicht versteht, ist ein Idiot. Jetzt wiederholt, was ich gesagt habe, jeder, der die Theoreme des Euklid nicht versteht, ist ein Idiot. Natürlich wissen wir alle, was ein Idiot ist, denn daß wir welche sind, sagen uns die Lehrer ständig.
Brendan Quigley hebt die Hand. Sir, was ist ein Theorem und was ist ein Euklid?
Wir erwarten, daß Dotty Brendan abkanzelt, wie alle Lehrer, wenn man ihnen eine Frage stellt, aber er blickt Brendan mit leichtem Lächeln an. Aha,
hier haben wir einen Knaben, der nicht eine Frage hat, sondern deren zwei. Wie heißt du, Knabe?
Brendan Quigley, Sir.
Dies ist ein Knabe, der es noch weit bringen wird. Wohin wird er es bringen, ihr Knaben?
Noch weit, Sir.
Allerdings, das wird er auch. Der Knabe, der etwas über die Anmut, Eleganz und Schönheit von Euklid erfahren will, der kann gar nicht anders, der wird seinen Weg machen. Was kann er gar nicht anders, und was wird er machen, ihr Knaben?
Seinen Weg, Sir.
Ohne Euklid wäre die Mathematik hinfällig und bresthaft. Ohne Euklid könnten wir uns nicht von hier nach da begeben. Ohne Euklid könnte das Flugzeug nicht die Wolken reiten. Ohne Euklid hätte das Fahrrad kein Rad. Ohne Euklid hätte der heilige Joseph nicht Zimmermann sein können, denn das Zimmerhandwerk ist Geometrie, und Geometrie ist Zimmerhandwerk. Ohne Euklid hätte diese Schule nicht gebaut werden können.
Paddy Clohessy brummelt hinter mir, Scheiß-Euklid.
Dotty blafft ihn an. Du, Knabe, wie heißt du?
Clohessy, Sir.
Ah, der Knabe fliegt mit einem Flügel. Wie lautet dein Vorname?
Paddy.
Paddy, was?
Paddy, Sir.
Und was, Paddy, hast du zu McCourt gesagt?
Ich habe gesagt, wir sollten niederknien und
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