Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
Vom Netzwerk:
Gott auf unseren zwei Knien für Euklid danken.
    Davon bin ich überzeugt, Clohessy. Ich sehe, wie die Lüge zwischen deinen Zähnen schwärt. Was sehe ich, ihr Knaben? Die Lüge, Sir.
    Und was macht die Lüge, ihr Knaben?
    Sie schwärt, Sir.
    Wo? Nun? Wo?
    Zwischen seinen Zähnen, Sir.
    Euklid war Grieche. Was, Clohessy, ist ein Grieche?
    Irgendeine Sorte von Ausländer, Sir.
    Clohessy, du bist ein Schwachkopf. Nun, Brendan, du weißt doch sicherlich, was ein Grieche ist?
    Ja, Sir. Euklid war ein Grieche.
    Dotty hat wieder dies leichte Lächeln. Er sagt Clohessy, er soll sich Quigley zum Vorbild nehmen, denn der weiß, was ein Grieche ist. Er zeichnet zwei Striche nebeneinander und sagt uns, das seien parallele Geraden, und das Zaubrische und Geheimnisvolle daran sei, daß sie sich nie schnitten, nicht, wenn sie bis in die Unendlichkeit ausgedehnt würden, nicht, wenn sie bis zu den Schultern Gottes ausgedehnt würden, und
das, ihr Knaben, ist ein weiter Weg, obwohl es da jetzt einen deutschen Juden gibt, der die ganze Welt mit seinen Ideen zu den Parallelen in Aufregung versetzt.
    Wir hören Dotty zu und fragen uns, was das alles mit dem gegenwärtigen Zustand der Welt zu tun haben soll, mit den Deutschen, die überall einmarschieren und alles bombardieren, was steht. Selber können wir ihn nicht fragen, aber wir können Brendan Quigley dazu bringen, daß er ihn fragt. Jeder kann sehen, daß Brendan Dottys Lieblingsschüler ist, und das bedeutet, er kann ihn fragen, was er will. Nach der Schule sagen wir Brendan, morgen muß er folgende Frage stellen: Wozu sind Euklid und diese ganzen Striche gut, die immer länger werden, wenn die Deutschen Bomben auf alles schmeißen? Brendan sagt, er will gar kein Lieblingsschüler sein, er hat gar nicht darum gebeten, und er will die Frage nicht stellen. Er hat Angst, wenn er die Frage stellt, macht Dotty ihn zur Sau. Wir sagen ihm, wenn er die Frage nicht stellt, machen wir ihn zur Sau. Am nächsten Tag hebt Brendan die Hand. Dotty schenkt ihm dies leichte Lächeln. Sir, wozu sind Euklid und diese ganzen Striche gut, wenn die Deutschen Bomben auf alles schmeißen, was steht?
    Das leichte Lächeln ist weg. Ach, Brendan. Ach, Quigley. Ach, ihr Knaben. Ach, ihr Knaben.

    Er legt seinen Stock aufs Pult und steht mit geschlossenen Augen auf der Plattform. Wozu ist Euklid gut? sagt er. Gut wozu? Ohne Euklid hätte die Messerschmitt sich nie in den Himmel aufschwingen können. Ohne Euklid könnte die Spitfire nicht von Wolke zu Wolke flitzen. Euklid bringt uns Anmut und Schönheit und Eleganz. Was bringt er uns, ihr Knaben?
    Anmut, Sir.
    Und?
    Schönheit, Sir.
    Und?
    Eleganz, Sir.
    Euklid ist in sich vollkommen und in der Anwendung göttlich. Versteht ihr das, ihr Knaben?
    Ja, Sir.
    Das bezweifle ich, ihr Knaben, das bezweifle ich. Euklid lieben heißt allein sein auf dieser Welt.
    Er öffnet die Augen und seufzt, und man kann sehen, daß die Augen ein bißchen wäßrig sind.
     
     
    Als Paddy Clohessy an dem Tag aus der Schule kommt, hält Mr. O’Dea, der die fünfte Klasse unterrichtet, ihn fest. Mr. O’Dea sagt, du, wie heißt du?
    Clohessy, Sir.
    In welche Klasse gehst du?

    Vierte Klasse, Sir.
    Nun sage mir, Clohessy, spricht euer Lehrer mit euch über Euklid?
    Ja, Sir.
    Und was sagt er?
    Er sagt, er ist Grieche.
    Natürlich ist er Grieche, du schlotternder Omadhaun. Und weiter?
    Er sagt, ohne Euklid gäbe es keine Schule.
    Aha. Und zeichnet er irgendwas an die Tafel?
    Er zeichnet Striche nebeneinander, die sich nie treffen, nicht mal, wenn sie auf Gottes Schultern landen.
    Heilige Muttergottes.
    Nein, Sir. Gottes Schultern.
    Ich weiß, du Idiot. Geh nach Hause.
    Am nächsten Tag ist lauter Lärm vor unserer Klassenzimmertür, und Mr. O’Dea schreit, kommen Sie heraus, O’Neill, Sie Defraudant, Sie gleisnerischer, feiger Wicht. Weil die Scheibe über der Tür kaputt ist, können wir alles genau verstehen.
    Der neue Schulleiter, Mr. O’Halloran, sagt, na na, Mr. O’Dea. Mäßigen Sie sich. Keinen Streit in Gegenwart unserer Schüler.
    Dann sagen Sie ihm auch bitte, Mr. Halloran, daß er aufhören soll, die Geometrie zu unterrichten. Die Geometrie ist für die fünfte Klasse, nicht die vierte. Die Geometrie gehört mir. Sagen Sie ihm, er soll die schriftliche Division unterrichten
und Euklid mir überlassen. Schöne lange schriftliche Divisionsaufgaben werden auch seinen Intellekt wachsen lassen, klein, wie er ist, möge Gott uns helfen. Ich möchte nicht, daß der Geist

Weitere Kostenlose Bücher