Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
teuersten Branchen Deutschlands beteiligen sich selbst nicht an der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben. Der Fiskus verzichtet großzügig auf eine Besteuerung, die für den Rest der Wirtschaft selbstverständlich ist. Die Geldwirtschaft und die Hilfswirtschaft sind die größten Steueroasen im deutschen Finanzstaat.
Das Wirtschaftswunder in den Parallelwirtschaften
Die staatlichen Anreize wirken. Beide Branchen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten wahre Wirtschaftswunder erlebt und wuchsen um ein Vielfaches schneller als die Volkswirtschaft insgesamt. Betrachten wir stellvertretend für die Finanzwirtschaft die Deutsche Bank: Noch 1991 war die jährliche Leistung der gesamten deutschen Wirtschaft sechseinhalb Mal größer als die Bilanzsumme der Deutschen Bank. Inzwischen hat diese eine Bank allein die Volkswirtschaft der Bundesrepublik fast eingeholt.
»Unbekanntes Wirtschaftswunder Sozialbranche« war der Titel eines Kongresses, auf dem sich die Helfer im Frühjahr in Berlin selbst feierten. Der Boom im Geschäftsfeld der Hilfe verläuft im Stillen. Die Gesellschaft nimmt ihn kaum zur Kenntnis. Dennoch ist die Entwicklung beeindruckend: In den vergangenen 15 Jahren wuchs die Wohlfahrtsindustrie sechs bis sieben Mal schneller als die gesamte Wirtschaft. Die Zuwächse in den Geschäftsfeldern Hilfe und Geld dringen also in Regionen vor, die gemeinhin für die Informations- und Kommunikationsbranche vorbehalten schienen.
Für die Unternehmen aus beiden Branchen ist Wachstum nicht lediglich ein ökonomisches Ziel, sondern ein existenzieller Zwang. Gemeinnützige Organisationen dürfen keinen Gewinn machen, sonst verlieren sie ihre steuerlichen Privilegien. Doch die Vereine und Firmen der Wohlfahrtsbranche erwirtschaften zum Teil erhebliche Überschüsse. Das Gesetz zwingt sie, jeden Euro, der am Ende des Jahres auf der Habenseite übrig bleibt, in neue Hilfsangebote zu investieren. Für die dann zusätzliche Hilfsbedürftige gefunden werden müssen. Deren Betreuung erneut Überschüsse in die Kassen schwemmt. Der Teufelskreis des Wachstums.
Auch für viele Finanzinstitute ist die Steigerung der Bilanzsumme eine Überlebensfrage. Spätestens die aktuelle Krise auf den Finanzmärkten hat die Branche gelehrt: Mit der Größe einer Bank wächst der Druck auf die nationalen Regierungen, sie in der Not zu retten. Gerade die großen Banken haben darum in der jüngsten Vergangenheit immense Anstrengungen unternommen, um sich weiter aufzupumpen. Das Wachstumsziel heißt »Too Big to Fail«. Für die Gesellschaften bedeuten die gigantischen »systemrelevanten« Banken eine Bedrohung ihres Wohlstandes. Für die Geldtanker selbst ist »Too Big to Fail« der sicherste Hafen, den sie anlaufen können. Der Steuerzahler ist ihre beste Versicherung.
Die beiden größten Branchen der deutschen Volkswirtschaft sind anders als alle anderen. Die Frage, ob das Ergebnis ihrer Arbeit überhaupt als Wertschöpfung bezeichnet werden kann, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Sicher jedoch ist: Beide gehören nicht zur Realwirtschaft. Die Industrien der Parallelgesellschaften haben sich ihre Parallelwirtschaften geschaffen. Und während die Realwirtschaft um jedes Zehntel an Wirtschaftswachstum verbissen kämpfen muss, erleben die Parallelwirtschaften der Ober- und der Unterschicht einen nie gekannten Boom.
Wirtschaftswachstum ist positiv. Es ist das Ziel aller Volkswirtschaften, ein Maßstab für den Erfolg von Politik. Doch die Entwicklung an den Finanzmärkten hat gezeigt, dass nicht jeder Boom dem Wohl der Allgemeinheit dient. In der Geschichte der Finanzwirtschaft kam es immer wieder zu gewaltigen Spekulationsblasen, gefolgt von brutalen Zusammenbrüchen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die Banken erneut ein geradezu explosionsartiges Wachstum des virtuellen Geldes produziert. Der Handel mit synthetischen Finanzmarktprodukten, mit Wertpapieren, die keinen Bezug haben zum realen wirtschaftlichen Geschehen, hat ein Volumen von 600 Billionen Dollar im Jahr erreicht. Das entspricht dem Zehnfachen der realen Wirtschaftsleistung aller Menschen der Welt. 4 Es ist die größte Spekulationsblase in der Geschichte der Banken.
Mit dieser Dimension kann man die Fehlentwicklungen beim Geschäft mit der Hilfe nicht vergleichen. Die Wohlfahrt bedroht den Wohlstand der Gesellschaft nicht. Hilfe ist ein lokales Geschäft, kein globales. Dennoch werden nicht nur an den Kapitalmärkten Blasen produziert. Das Phänomen ist in
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