Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
erkannt, dass die Banken ihre Milliardengeschäfte dringend mit mehr Eigenkapital absichern müssen. Mit dem Geld, das sie zur Sicherheit zur Seite legen müssen, können die Geldhäuser nicht spekulieren. Für Banker ist es totes Kapital. Darum wehren sie sich gegen alle Versuche, sie zu mehr Sicherheitsreserven zu zwingen. Mit Erfolg: Die Eigenkapitalquote soll künftig im sogenannten Basel- III- Abkommen geregelt werden. Doch die Bestimmungen werden bereits im Vorfeld fortwährend verwässert und gelockert. Und treten nicht einmal in Kraft.
Beim Souverän der Bundesrepublik ist vor allem die Finanztransaktionsteuer beliebt. 58 Prozent der Bürger befürworten ihre Einführung. 46 Sie können nicht verstehen, warum auf sämtliche Geschäfte der realen Wirtschaft Steuern anfallen, während ausgerechnet die riskanten Transaktionen an den Finanzmärkten das Privileg der Steuerfreiheit genießen. Das war nicht immer so. Bis 1990 galt in Deutschland die »Börsenumsatzsteuer«. Damals brachte sie dem Fiskus gerade mal umgerechnet 420 Millionen Euro ein. Durch die Vervielfältigung der Finanzgeschäfte wären heute auch die Steuereinnahmen um ein Vielfaches höher: bis zu 12 Milliarden Euro in Deutschland, EU -weit könnten die Finanzminister insgesamt 57 Milliarden Euro einnehmen. Jedes Jahr. 47
Doch bei der Finanztransaktionsteuer sind die Einnahmen nicht von entscheidender Bedeutung. Diese Steuer soll vor allem steuern. Sie soll den Handel an den Kapitalmärkten entschleunigen. Es ist eine Steuer gegen den Hochfrequenzhandel. Wenn bei jedem Besitzerwechsel eines Wertpapiers eine Abgabe fällig wird, und sei sie noch so gering, dann ist der Handel im Millisekundentakt kaum noch profitabel und realisierbar.
Genau das will die große Mehrheit der Bürger. Genau das will die große Mehrheit der gewählten Volksvertreter. Genau das strebt sogar die Bundesregierung an. Doch die Räder der Finanzwirtschaft stehen noch lange nicht still, nur weil der starke Arm der Demokratie es so will. Im März 2012 gab Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bekannt, dass alle Bemühungen, die Steuer auf Finanzgeschäfte einzuführen, am Widerstand Großbritanniens, genauer: am Widerstand der Londoner Banken gescheitert sind: »Das kriegen wir nicht hin«, resignierte Schäuble. 48
Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen bringt seine Beobachtungen zur Bankenrettung in Europa auf den Punkt: »In Europa erleben wir ein Versagen der Demokratie.« 49 Die Machtfrage zwischen Bürgern und Banken ist geklärt.
Die Geldindustrie widerspricht also allen Grundsätzen, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft unverzichtbar sind: Sie ist antikapitalistisch, unsozial und undemokratisch. In weiten Teilen widerspricht sie den Gesetzen der ökonomischen Vernunft. Und sie verstärkt die Zentrifugalkräfte in der Gesellschaft, weil sie eine winzige Minderheit von Reichen noch unermesslich viel reicher macht.
6 GIGANTEN
Die einen interessieren sich für Menschen, die anderen für Zahlen. Die einen putzen Behinderten die Zähne, beschützen Kinder vor ihren prügelnden Eltern und geben Obdachlosen ein warmes Bett. Und das für einen bescheidenen Lohn. Die anderen kümmern sich um die Gewinner der Gesellschaft, fliegen im Privatjet zum Meeting und zocken mit dem Geld der Welt. Und kassieren dafür astronomisch hohe Boni. Helfer und Banker, die Guten und die Gierigen – kann es einen größeren Gegensatz geben?
Wer sich jedoch traut, die Brille der Vereinfachung abzusetzen, wird bald Unerwartetes erkennen: Hinter der Fassade der Gegensätzlichkeit sind ausgerechnet die Welten des Sozialen und des Geldes in vielen Punkten verblüffend ähnlich.
Beginnen wir mit der Größe: Banker und Helfer sind die Giganten der deutschen Volkswirtschaft. Die Finanzwirtschaft kontrolliert das meiste Geld. In der Sozialwirtschaft arbeiten die meisten Beschäftigten. Geldindustrie und Hilfsindustrie, das bedeutet in Deutschland: Kapital und Arbeit.
Arbeitsplätze und Geld, damit ist Macht verbunden. Die angeblichen Kontrapunkte setzten ihre Macht für dieselbe Sache ein, sie erzielen denselben Effekt. Beide wirken mit am Auseinanderdriften der Gesellschaft. Sie sind die ökonomischen Helfershelfer der Parallelgesellschaften, der Oberschicht und der Unterschicht. Die Geldindustrie macht die Reichen reicher. Die gigantische Umverteilung des Vermögens nach oben ist auch ihr Werk. Leistungsloses Einkommen durch Kapitalgeschäfte, das typische Einkommen der
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