Die Assistentin
sie vor dem Haus. Der Herbstmorgen war etwas zu kühl, um in Shorts, T-Shirt und Turnschuhen herumzulaufen, wie sie es tat. Doch zumindest konnte sie damit rasch entkommen, falls es nötig sein sollte. Gegenüber von Ricks Häuschen befand sich eine altmodische Strandpromenade mit Blick auf das Meer. Notfalls konnte sie behaupten, sie sei hierhergekommen, um zu laufen. Nicht, dass er das glauben würde. Aber vielleicht die Polizei.
Die erste Hürde war das verriegelte Tor, das in den vorderen Hof führte. Sie konnte den Riegel sehen, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, aber sie kam nicht an ihn heran. Es gab eine Klingel, aber wahrscheinlich hatte er eine Überwachungskamera, sodass der Überraschungseffekt verloren wäre. Zum Glück war das Gebäude ein bisschen baufällig, und die Schrauben, die den Riegel hielten, waren lose. Sie brauchte nur etwas kräftiger an der Klinke zu rütteln, und der Riegel löste sich, bis er wie ein gebrochener Ast herunterhing.
Glück gehabt. Sie betrat den kleinen Hof und sah geflieste Bänke, eine sprudelnde Fontäne und blühende Zwergpalmen. Die niedrige Lehmmauer zum Meer hin erlaubte es dem Eigentümer, ungestört auf den Ozean zu blicken. Das Gebäude musste dringend renoviert werden, doch bei diesem Ausblick dürfte allein der Wert des Grundstücks in die Millionen gehen. Das bedeutete, dass Rick Bayless nicht gerade mittellos war. Also hatte er es vermutlich nicht darauf abgesehen, sie um Geld zu erpressen.
Eigentlich sollte dieser Gedanke sie beruhigen. Tat er aber nicht.
Sie überprüfte die Eingangstür, die sorgfältig abgeschlossen war, aber eine Terrassentür führte in einen Raum, der das Wohnzimmer zu sein schien. Sie rüttelte daran und merkte, dass der Griff lose war. Wahrscheinlich würde sie die Tür leicht aufdrücken können. Aber sollte sie wirklich einbrechen?
Sie kehrte zur Eingangstür zurück und drückte auf den Klingelknopf. Selbst das größte Überraschungsmoment war es nicht wert, noch einmal von Rick Bayless ins Gefängnis gesteckt zu werden.
Doch auch, nachdem sie noch zwei Mal geklingelt hatte, rührte sich nichts.
Die Terrassentür gab nach, als sie nur ein klein bisschen Druck ausübte. Sie stieß die Tür mit der Schulter auf und betrat das Wohnzimmer. Es war im Stil einer Hazienda eingerichtet, dekoriert mit farbenprächtigen mexikanischen Fliesen und indianischen Teppichen. Das Haus sah bewohnt aus, aber auf eine sehr angenehme Weise. Im Gegensatz dazu wirkte ihre eigene Wohnung geradezu steril. Nicht so warm und freundlich.
Sie wartete und lauschte. Was sollte sie als Nächstes tun? Es hatte einigen Krach gemacht, als sie die Tür aufgedrückt hatte. Die meisten Menschen wären davon aufgeschreckt worden, doch sie hörte nicht das geringste Lebenszeichen. Vielleicht war er nicht zu Hause. Oder er hielt sich irgendwo versteckt und lauerte ihr auf.
Von draußen wirkte das Haus klein; sie hatte höchstens zwei Zimmer erwartet. Doch entweder war der Grundriss ziemlich eigenwillig, oder man hatte nachträglich noch angebaut, denn als sie vorsichtig von einem Zimmer ins nächste schlich, fürchtete sie beinahe, sich zu verirren. Es gab unzählige Hinweise auf mindestens einen männlichen Bewohner.
Eine Khakijacke und die Lederjacke, die sie gestern Abend bereits gesehen hatte, hingen an der Flurgarderobe in der Diele. In der Küche lagen ein paar Briefe auf dem Tisch. In der Spüle stand schmutziges Geschirr, und auf dem Boden neben dem Kühlschrank eine Schüssel mit den Resten eines chinesischen Fast-Food-Gerichts.
Lane trat näher. War das etwa das Futter für ein Haustier?
Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Sie konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken, als eine winzige graue Maus sich hinkend zwischen dem Kühlschrank und dem Küchenschrank in Sicherheit brachte. Nachdem sie verschwunden war, erinnerte Lane sich entsetzt an einen Morgen vor vielen Jahren, an dem sie in einem muffigen Wandschrank aufgewacht war. Sie hatte sich ein neues Versteck suchen müssen, nachdem ihr altes entdeckt worden war. Am Abend war sie mit einem halben Käsesandwich in der Hand eingeschlafen, und eine Maus hatte den ganzen Käse stibitzt. Als die kleinen scharfen Zähne ihre Haut berührten, hatte sie aufgeschrien.
Jetzt stürmte sie aus der Küche und schüttelte sich vor Ekel. Rick Bayless hatte den Laden nicht besonders gut im Griff. Sein Haustier musste sich das Essen mit einem plündernden kleinen Nagetier teilen.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher