Die Assistentin
Sie wollen gar nicht wissen, was da drin geschehen ist.”
Vor Furcht zog sich Ricks Magen noch weiter zusammen. Plötzlich hatte er einen üblen Geschmack in der Kehle. Zu gern hätte er es auf den vom Hafen herüberwehenden Gestank geschoben, doch der Wind trug den Seegeruch nur selten bis hier oben.
Rick wollte tatsächlich nicht wissen, was in dem Haus geschehen war, aber er musste es herausfinden. Ned war nicht gewalttätig. Er war eher zurückhaltend, ohne ein Feigling zu sein – ein gutherziger, unbekümmerter Kerl. Er wäre eine wahre Schande für die Army geworden, denn er hasste Waffen. Rick hatte ihn oft genug damit aufgezogen, genauso, wie Ned umgekehrt ihn wegen seiner Angst vor Wasser auf den Arm genommen hatte. Doch selbst wenn Ned zu derartiger Gewalt fähig gewesen wäre: Warum hatte er dann seine Freundin und sich selbst getötet? Und nicht den Erpresser?
Rick hätte ihm zuhören sollen. Jetzt hatte er wenig, um weiterzukommen, nicht einmal ein paar kümmerliche Einzelheiten über den Erpressungsversuch. Wie oft hatte der Erpresser Kontakt zu ihm aufgenommen? Warum? Doch es gab noch einen anderen Grund, weshalb Rick unbedingt in Neds Haus musste: Vor vielen Jahren hatte er Ned ein Päckchen gegeben, um es sicher für ihn aufzubewahren. Womöglich hatte die Polizei den gepolsterten Umschlag in Neds Safe gefunden, aber falls er immer noch dort lag, musste Rick ihn wiederhaben. Ein Teil von ihm hoffte, dass die Durchsuchung genauso oberflächlich gewesen war, wie er vermutete. Aus diesem Grund hatte er Neds Befürchtungen nicht erwähnt. Und das würde er auch in Zukunft nicht tun.
3. KAPITEL
L ane Chandler machte vier Dinge gleichzeitig, was zwei Dinge weniger waren als üblich. Über ihren Bildschirm flimmerte Gotcha.com, eine reißerische Website, die ihrem Namen alle Ehre machte:
Hab dich!
Lane betete, dass sie keinen ihren Kunden dort entdeckte. Im Geiste vervollständigte sie ihre To-do-Liste, während sie sich auszog. Dabei sprach sie über das Headset ihres Handys die ganze Zeit mit ihrem Lieblingskunden.
“Sie wünscht sich Rapper für ihre Geburtstagsparty?” Lane hängte die Kostümjacke über die Rückenlehne ihres Bürostuhls und ließ sich schließlich auf der Schreibtischkante nieder, um den Schmerz in ihren Füßen zu lindern. Die neuen High Heels waren viel zu teuer gewesen. Sie drehte sich um, sodass sie die Gotcha.com weiter durchsuchen konnte. Bisher hatte sie noch keine Spur von einem Kunden entdeckt, der im Gefängnis oder einer Entzugsklinik gelandet war. Auch von denen, die bereits Opfer dieser Seite geworden waren, gab es keine Neuigkeiten.
“Gott sei Dank”, formte sie unhörbar mit den Lippen. Sie war erleichtert, aber es war noch zu früh, um sich zu entspannen. Sie musste noch die Kolumne von Giganten-Killer Jack überprüfen.
“Jerry”, sagte sie in flehendem Ton in ihr Headset, “sag Nein! Eines Tages wird deine Tochter dir dankbar sein, dass die Gutter Punk Bone Dawgs nicht zu ihrem Geburtstag kommen durften.”
“Meiner Felicity etwas abschlagen? Gegen diese Rapper hätte ich wahrscheinlich bessere Chancen.”
Bei Jerrys lautem, schnarrendem Gelächter zuckte Lane zusammen. Sie wandte den Blick vom Computerbildschirm ab und musterte ihre Schuhe mit finsterem Gesicht. So wie der Tag bisher gelaufen war, würden sie sie noch umbringen, falls ihre Klienten das nicht erledigten. Zum Glück war Jerry nur am Telefon und saß nicht in ihrem Büro. So konnte er nicht sehen, wie sie den Seitenschlitz ihres Rockes strapazierte, als sie sich vorbeugte. Sie zog die exquisiten Schuhe aus, die ihren Spann so schmerzhaft überdehnten. Vor Erleichterung seufzend setzte sie die Füße auf den weichen Teppich ihres Büros. Wer hatte diese Stelzen erfunden – Marquis de Sade? Angeblich war es unglaublich sexy, wenn die Hüften einladend sinnlich hin- und herschwangen. Aber nur ein Mann, der auf SM stand, konnte Gefallen an dem schmerzverzerrten Gesicht der Frau haben.
“Lane, höre ich da ein heftiges Atmen?”
“Dieses ekstatische Stöhnen stammt von mir. Ich habe mir gerade die Schuhe ausgezogen, und ich warne dich, als Nächstes kommen meine Strümpfe dran!”
Stille. Hatte sie ihn etwa schockiert? Nicht Jerry. Sie alberten oft herum. Er war ein Bär von einem Mann, groß und süß, mit einem großen Kopf, braunen Haaren und dem dazu passenden Bart. Er leitete eine der größten Supermarktketten im Land, und er gehörte zu Lanes fünf wichtigsten Kunden. Doch
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