Die Assistentin
er war auch ihr Mentor. Bei ihm konnte sie sie selbst sein. Sie griff nach hinten und löste die Haarspange, ehe der feste Knoten ihr noch eine Migräne bescherte. Die mahagonifarbenen Locken fielen über ihren Rücken.
“Hat es dir die Sprache verschlagen, Jerry?”
“Von wegen!”, lachte er. “Aber du solltest inzwischen wissen, dass ich mir nichts aus Füßen mache. Wenn du ‘Ohrringe’ gesagt hättest, das wäre etwas anderes gewesen. Beim Anblick der nackten Ohrläppchen einer Frau bekomme ich Schweißausbrüche.”
“Die Ohrringe kommen als Nächstes, Süßer.”
“Witzig!”
Sie lachte und war plötzlich froh, dass er angerufen hatte, obwohl sie sich verzweifelt danach sehnte, endlich Feierabend machen und nach Hause gehen zu können. Lane war Inhaberin einer Agentur namens “The Private Concierge”, und bei ihren Klienten schien seit einiger Zeit alles drunter und drüber zu gehen. Heute war nur ein weiterer chaotischer Tag in einer ganzen Woche von katastrophalen Tagen gewesen. Sie konnte nicht glauben, dass jemand sie zum Lachen bringen könnte, aber Jerry hatte es tatsächlich geschafft. Er schaffte es immer. Darum hatte sie seinen Anruf zu dieser späten Stunde auch angenommen, anstatt ihn zu seiner privaten Concierge Zoe weiterleiten zu lassen.
Jerry war einer ihrer fünfundvierzig Top-Kunden, die bis zu fünfzigtausend Dollar für Lanes Premiumpaket zahlten. Jeder dieser Klienten hatte eine eigene private Concierge, die sich ausschließlich um seine Bedürfnisse kümmerte und nicht weniger als sechs Assistentinnen unter sich hatte. Die wiederum hatten unterschiedliche Schwerpunkte und standen rund um die Uhr zur Verfügung. Aber Jerry hatte möglicherweise Probleme, mit Zoe offen über seine verwöhnte Tochter zu sprechen – und Lane schuldete ihm so viel. Im Grunde war er mehr als ein Mentor, viel mehr, aber nicht im romantischen Sinne. Sie flirteten ein wenig, aber er hatte nie versucht, sie anzumachen. Manchmal wunderte sie sich darüber.
Sie streifte ihre Ohrclips ab und schüttelte den Kopf. Die kühlen Haare liebkosten ihr erhitztes Gesicht. Es war ein harter Tag gewesen, ein furchtbarer Tag, vielleicht der übelste in ihrer ganzen Laufbahn. Normalerweise wäre sie frustriert gewesen, sich jetzt noch um den Geburtstag einer verzogenen Sechzehnjährigen kümmern zu müssen. Es fühlte sich an, als würde alles, wofür sie gekämpft und sich aufgeopfert hatte, in sich zusammenfallen. Trotzdem musste sie sich darum kümmern, das gehörte schließlich zu ihrem Job. Sie kümmerte sich um alle ihre Kunden, und Jerry war äußerst wichtig für sie.
Und in diesem Augenblick brauchte sie einen Kunden, dem sie tatsächlich helfen konnte.
“Wirklich, Jerry, du solltest das Felicity wirklich nicht erlauben.” Ihre Stimme klang leise und bittend. “Ich weiß, wie sehr du deine Tochter liebst”, fuhr sie fort, “aber diese Rapper sind vorbestraft. Und was noch wichtiger ist: Wenn du jetzt nicht standhaft bleibst, wird Felicity niemals lernen, Grenzen zu respektieren. Weder ihre noch die von anderen.”
“Lane, seit wann bist du die Mutter Oberin?”
“Eigentlich hatte ich mich als Therapeutin versucht.” So viel also zu dem Versuch, vernünftig mit Jerry zu reden. Lane streifte die Strümpfe endgültig ab und hätte stöhnen können, so wunderbar fühlte es sich an. “Wie viele Gäste kommen denn zu der Party?”
“Felicity hat mir noch nicht endgültig Bescheid gesagt, aber ich schätze, der halbe Jahrgang aus St. Mary’s kommt, das sind etwa hundert, dann noch fünfundzwanzig aus ihrer Kirchengruppe und noch einmal so viele Geschäftsfreunde, Mitglieder aus meinen Clubs, Kollegen und Lieferanten.”
Lane begann zu rechnen. Die Summen, die ihre Kunden für ihre aufwendigen Partys ausgaben, schockierten sie immer noch, vor allem, wenn sie an die schlechte Wirtschaftslage des Landes dachte. Doch sie hatte einen Job zu erledigen und musste ihre eigenen Angestellten bezahlen. Im ganzen Land waren das bereits mehrere Hundert.
“Okay”, sagte sie, “sagen wir also etwa zweihundert Gäste, damit wir auch die verloren geglaubten Cousins, die Einladungen in letzter Minute und die Uneingeladenen nicht vergessen. Kids lieben es, solche Partys aufzumischen. Will sie immer noch auf Santa Catalina Island im Avalon feiern? Das bedeutet, dass wir ein Schiff chartern müssen. Oder wir organisieren ein paar der luxuriösen Eigentumswohnungen auf der Insel. Bleiben die Gäste über
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