Die Attentaeter von Luna City
Punkt hatte Hannacoy mit dem Securistent ein qualitativ anspruchsvolles Überwachungssystem initiiert, das ununterbrochen Daten lieferte. Von einem großen Teil der über einer Milliarde Lunarer wusste man fast lückenlos, wo sie sich befanden und was sie gerade taten. Die Lunarer mussten sich anstrengen, wenn sie durch die Maschen des Netzes schlüpfen wollten – und genau dies gefiel dem Jäger.
Denn weit einfacher als die konstante Überwachung war das Forschen nach diesen Anstrengungen. Wer plötzlich von der Bildfläche verschwand und an einer ganz anderen Stelle in Luna City wiederauftauchte, machte sich verdächtig. Egal, wie normal und harmlos diese Person sich gab. Sie zeigte, dass sie sich der Überwachung entzogen hatte. Und das genügte Leza Vlyoth vollkommen, um eine Liste von zwanzig Namen zu erstellen, die möglicherweise etwas mit dem Widerstand zu tun hatten.
Als er so weit war, ließ er seinen Rechner zwanzig Holosphären projizieren, die er willkürlich in seinem Trainingszimmer verteilte. Jeder von ihnen teilte er eines der Verdächtigenprofile zu und gab den Auftrag, die Personen in Lebensgröße darzustellen.
Einen Herzschlag später hatte er zwanzig Lunarer im Trainingszimmer stehen. Stumm und bewegungslos standen sie da, blickten ihn an.
»Persönlichkeitsprofile, Bewegungs- und Sprachparameter laden!«, befahl er.
Sofort regten sich die projizierten Lunarer. Ein Mann mit ausladendem Unterleib streckte sich ausgiebig, während sich eine kleine Frau verstohlen umsah und mit den Fingern nervös durch das rote Haar strich.
Bedächtig ging Vlyoth durch das Zimmer, blieb vor jedem der Verdächtigen stehen, rief ihre Daten ab, bis er sie sich alle verinnerlicht hatte.
»Du da«, sagte er zu einem jungen Lunarer mit dunkelbraunem Haar und ebenso dunkelbraunen Augen. »Wie lautet dein Name, und was ist deine Tätigkeit in Luna City?«
Der junge Mann sah ihn stirnrunzelnd an. »Ich heiße Rob Fuentes. Ich bin ein Traumsequenz-Designer.«
»Was bedeutet das?«, fragte Vlyoth mit scharfer Stimme.
»Ich erschaffe virtuelle Szenarien, in die meine Kunden für ein paar Stunden fliehen können. Ich habe verschiedene Welten des Galaktikums im Angebot; meistens wird aber Terra gewünscht, unsere Ursprungswelt.«
»Hmmm«, machte Vlyoth. »Nicht das, was ich brauche.«
Die Projektion des jungen Terraners verschwand.
»Wie heißt du?«, fragte er einen älteren Lunarer, der eine auffällige Deformierung seiner linken Gesichtshälfte aufwies.
»Antoine Marous.«
»Was ist dein Beruf?«
»Ich war Kybernetiker. Aber seit dem Tod meines Sohnes schaffe ich es kaum noch, meine Wohnung zu verlassen.«
»Dein Sohn war Luc Marous, der nachweislich dem Lunaren Widerstand angehörte«, sagte Vlyoth. »Was kannst du mir dazu sagen?«
Der alte Mann hob abwehrend beide Hände. »Dazu weiß ich nichts. Ich habe mit dem Widerstand nichts zu tun.«
»Das kann ich bestätigen«, sagte ein groß gewachsener Terraner in Marous' Nähe.
Mit gespieltem Erstaunen drehte sich der Jäger in seine Richtung. »Wer bist du, dass du dich ungefragt in das Gespräch einmischst?«
»Mein Name ist Doktor Anniwas Tercel, Doktor Anniwas Tercel. Antoine Marous ist mein Patient.«
»Du behandelst sein entstelltes Gesicht?«
Ein feines Lächeln umspielte Tercels ausgeprägte Lippen. »Die Chirurgie habe ich an den Nagel gehängt. Ich biete psychologische Unterstützung.«
»Sieh an«, sagte der Jäger. »Eine krisensichere Tätigkeit, wie mir scheint. Die meisten Lunarer sind nicht das, was man als geistig gefestigt bezeichnen könnte, obwohl es ihnen in Luna City an nichts fehlt.«
Anniwas Tercel ließ die rechte Augenbraue hochsteigen, schwieg aber.
Vlyoth sah sich um. »Haben wir hier etwa noch mehr Patienten des guten Doktor Tercel?«
Die kleine rothaarige Frau presste die Umhängetasche enger an sich, hob dann zögernd die Hand.
Der Jäger ging auf sie zu.
»Pri Sipiera«, sagte er. »Tochter des Administrators von Luna, auch genannt ›Lunarer Resident‹. Vor Jahren größtenteils von der Bildfläche verschwunden. Weshalb ist das so?«
»Ich hatte es satt, auf meinen Vater angesprochen zu werden«, sagte sie mit leicht gereizter Stimme. »Deswegen halte ich mich aus öffentlichen Dingen raus.«
»Nicht nur das. Du scheinst dich komplett aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.«
»Ich bin gern zu Hause.«
»Ich weiß, dass du einen zweiten Vater hattest: Golo Sipiera. Er lebte unter dem dringenden Verdacht, mit
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