Die Attentaeterin
jetzt erst mal nach Hause, Amin. Du musst wieder zu Kräften kommen. Das ist im Moment alles, was zählt .«
»Wenn sie mich haben laufen lassen, Naveed, nun rede schon … wenn sie mich haben laufen lassen, dann doch, weil sie … Was haben sie entdeckt, Naveed ?«
»Dass du, Amin, nichts damit zu tun hast .«
»Nur ich …?«
»Nur du.«
»Und Sihem …?«
»Du musst die knass bezahlen, um ihren Körper zurückzubekommen. Ist eine Verordnung .«
»Ein Bußgeld? Seit wann gilt denn diese Verordnung ?«
»Seit die fundamentalistischen Selbstmordattentäter …«
Ich unterbreche ihn mit erhobenem Finger.
»Sihem ist keine Selbstmordattentäterin, Naveed. Versuch, das nicht zu vergessen. Das ist mir wichtiger als alles auf der Welt. Meine Frau ist doch keine Kindermörderin …
Hab ich mich verständlich ausgedrückt ?«
Ich lasse ihn stehen und laufe los, ohne zu wissen, wohin.
Ich habe keine Lust mehr darauf, dass mich jemand nach Hause bringt. Ich habe das nicht mehr nötig, dass mir jemand die Hand auf die Schulter legt. Ich will keinen Menschen sehen, egal ob er auf meiner Seite oder der Gegenseite steht.
In dieser Nacht finde ich mich auf einer Steinplatte wieder, den Blick aufs Meer gerichtet. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich den Tag verbracht habe. Ich glaube, ich bin irgendwo eingeschlafen. Die drei Tage und drei Nächte in Haft haben mich völlig aus der Bahn geworfen. Ich habe keine Jacke mehr. Ich habe sie wohl auf irgendeiner Parkbank liegen lassen, oder jemand hat sie mir gestohlen. Auf meiner Hose ist oben ein riesiger Fleck, und auf meinem Hemd sind Spuren von Erbrochenem. Ich erinnere mich undeutlich, mich am Fuß eines Bootsstegs übergeben zu haben. Wie ich bis zu dieser Steinplatte gekommen bin, auf dieser Anhöhe über dem Meer? Ich weiß es nicht.
Weit draußen, auf hoher See, funkelt ein Passagierdampfer.
In der Nähe stürmen die Wellen gegen den Felsen an. Ihr Getöse erzeugt ein stetes Rauschen in meinem Kopf.
Die Meeresbrise erfrischt mich. Ich ziehe die Beine hoch, schlinge die Arme um sie, vergrabe mein Kinn zwischen den Knien und lausche dem Rauschen des Meeres. Langsam füllen sich meine Augen mit Tränen. Die Schluchzer schütteln mich in immer kürzeren Abständen bis mein ganzer Körper pausenlos zittert. Ich nehme mein Gesicht in beide Hände, stöhne laut auf und brülle wie ein Besessener gegen das mächtige Tosen der Wassermassen an.
5.
J emand hat ein Plakat an mein Gartentor geklebt. Nicht wirklich ein Plakat, sondern die Titelseite einer Boulevardzeitung. Quer über einem großen Foto, welches das blutige Chaos rund um das von den Terroristen ins Visier genommene Restaurant zeigt, steht in fetten Buchstaben: DIE BESTIE IST UNTER UNS. Die Überschrift zieht sich über drei Spalten hin.
Die Straße liegt verlassen da. Eine altersschwache Laterne spendet ein bisschen Licht – ein fahler Schein, der kaum über den Rand des Schirms hinausreicht. Mein Nachbar von gegenüber hat die Vorhänge zugezogen. Es ist noch nicht zehn Uhr abends, und nirgends brennt Licht.
Die Männer von Hauptmann Moshe haben wie die Vandalen gehaust. In meinem Büro ist alles drunter und drüber. In meinem Schlafzimmer dieselbe Unordnung. Matratze umgedreht, Laken am Boden, Nachttische und Kommode rücksichtslos durchwühlt, Schubladen auf dem Teppichboden verstreut. Die Unterwäsche meiner Frau liegt zwischen Pantoffeln und Kosmetikprodukten. Sie haben meine Bilder von den Wänden abgehängt, um nachzusehen, was sich dahinter verbirgt. Selbst auf einem uralten Familienfoto sind sie herumgetrampelt.
Ich habe weder Kraft noch Mut, einen Blick in die anderen Zimmer zu werfen, um den Schaden abzuschätzen, den sie dort angerichtet haben.
Der Schrankspiegel wirft mir mein Bild entgegen. Ich erkenne mich nicht wieder. Mit meinem struppigen Haar, dem verstörten Blick, meinem Dreitagebart und den ausgemergelten Wangen sehe ich aus wie ein Geisteskranker.
Ich ziehe mich aus, lasse mir Badewasser einlaufen; finde im Kühlschrank etwas zu essen, stürze mich darauf wie ein ausgehungertes Tier. Ich esse im Stehen, mit schmutzigen Händen, verschlucke mich fast an den Bissen, die ich mit einer elenden Gier hinunterschlinge. Am Ende habe ich eine Schale Obst, zwei Teller kaltes Fleisch, dazu zwei Flaschen Bier in einem Zug geleert und mir die Sauce von allen zehn Fingern geschleckt.
Erst als ich wieder vor dem Spiegel stehe, merke ich, dass ich vollkommen nackt bin. Ich erinnere mich
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