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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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in dem die Reichen von Tel Aviv es sich wohl sein lassen, sowie eine Kolonie von Emporkömmlingen, darunter eine Hand voll russischer Emigranten, die man an ihrem bäuerischen Akzent erkennt und an ihrem Tick, vor den Nachbarn angeben zu müssen. Gleich bei unserem ersten Streifzug durch die Gegend zog uns das Viertel in seinen Bann. Das Licht hier schien sehr viel mehr Leuchtkraft zu haben. Wir hatten das alles auf Anhieb gemocht, die Natursteinfassaden, die schmiedeeisernen Tore und die ganze Aura der Glückseligkeit, welche die Häuser mit den riesigen Fenstern und den schönen Balkons umfing. Zu der Zeit wohnten wir in einer lauten Gegend am Stadtrand, in einem Apartment im dritten Stock eines anonymen Gebäudes, in dem Ehekräche an der Tagesordnung waren. Wir schnallten den Gürtel enger, um so viel wie möglich auf die hohe Kante zu legen, damit wir umziehen konnten, aber wir waren weit davon entfernt, uns vorzustellen, dass wir unsere Koffer in einer derart noblen Gegend wieder auspacken würden. Nie werde ich Sihems Freude vergessen, als ich ihr die Binde von den Augen nahm, um ihr unser Haus zu zeigen. Sie hopste so aufgeregt auf ihrem Sitz hin und her, dass ihr Kopf gegen die Autodecke stieß, die davon einen Riss bekam. Sie so unendlich glücklich zu sehen, wie ein kleines Mädchen, dem man am Geburtstag seinen Lieblingswunsch erfüllt, das war für mich wie ein Wunder. Wie oft ist sie mir um den Hals gefallen, hat mich mitten auf den Mund geküsst, vor all diesen Typen, die da herumstanden und gafften, sie, die normalerweise schon knallrot wurde, wenn ich nur wagte, sie auf der Straße verstohlen zu kneifen …? Sie stieß das Gartentor auf und lief auf die massive Eichentür zu. Sie war so ungeduldig, dass ich Mühe hatte, den passenden Schlüssel zu finden. Ihre Freudenschreie hallen noch immer in meinen Schläfen. Ich sehe sie vor mir, wie sie mit ausgebreiteten Armen durchs Wohnzimmer wirbelt, wie eine Ballerina, berauscht von ihrer Kunst. Ich musste sie bei den Hüften packen, um ihren Überschwang zu zügeln. Ihre Blicke strömten über vor Dankbarkeit, ihr Glück betäubte mich . In diesem riesigen, leeren Raum haben wir meinen Mantel auf dem Boden ausgebreitet und uns geliebt wie zum ersten Mal …
    Es dürfte so gegen elf Uhr sein, vielleicht etwas früher, und keine Menschenseele in Sicht. Die Straße, die einst Zeuge meines Aufstiegs war, liegt im Tiefschlaf. Ihre Laternen werfen trübes Licht. Mein Haus, seiner romantischen Liebe beraubt, erinnert an ein Geisterhaus. Eingehüllt in eine schon unheimliche Finsternis liegt es da, als stünde es seit Generationen leer. Weder Kim noch ich hatten daran gedacht, die Fensterläden zu schließen. Jetzt sind einige Scheiben eingeschlagen. Zeitungsfetzen liegen überall im Garten verstreut, die Blumen sind zertrampelt. Während unserer überstürzten Flucht von neulich hat Kim in der Eile das Tor nicht verriegelt, das, von übelgesinnten Besuchern sperrangelweit offen gelassen, jetzt leise in der Stille quietscht wie eine diabolische Klage. Man hat das Schloss mit einer Eisenstange gewaltsam aufgebrochen, eine Angel aus dem Pfeiler gerissen und die Klingel ramponiert. Zeitungsausschnitte, vom Volkszorn zwischen hasserfüllten Graffiti an meine Gartenmauer geheftet, flattern müde im Wind. In meiner Abwesenheit ist so einiges passiert …
    Im Briefkasten liegt Post. Lauter Rechnungen und ein kleiner Umschlag, der meine Aufmerksamkeit fesselt. Keine Absenderangabe. Nur eine Briefmarke, abgestempelt. Aufgegeben in Bethlehem. Mein Herz macht einen Sprung, als ich die Schrift von Sihem erkenne. Ich stürze ins Schlafzimmer, knipse Licht an, setze mich neben den Nachttisch, auf dem das Foto meiner Frau steht.
    Plötzlich erstarre ich.
    Warum Bethlehem …? Was wird mir dieser Brief aus dem Jenseits bringen? Meine Finger zittern, mein Adamsapfel zuckt wie wild in meiner ausgedörrten Kehle. Einen Moment lang frage ich mich, ob es nicht besser wäre, ihn später zu öffnen. Ich fühle mich außerstande, jetzt auch noch die andere Wange hinzuhalten, sämtliche Exzesse des Unglücks auf mich zu nehmen, das mir seit dem Attentat an den Fersen klebt. Der Tornado, der mir den letzten Halt genommen hat, hat mich gewaltig geschwächt. Ich hab wohl kaum die Kraft, einen weiteren Sturm zu überleben … Gleichzeitig fühle ich mich nicht in der Lage, auch nur eine Sekunde länger zu warten. Jede Faser meines Körpers ist gespannt, meine Nerven liegen bloß, es fehlt

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