Die Attentaeterin
mein Haar und flüsterte: ›Das ist nichts. Das kommt schon wieder in Ordnung …‹ Ich schwöre es dir, ich fühle sogar jetzt, wo ich dir das erzähle, noch seine Finger auf meinem Kopf, ich habe richtig Gänsehaut …«
» Sabba! « Das ist Kim, die sich zu uns gesellt. Der Alte wirft die Arme in die Luft wie ein kleiner Junge, den man mit dem Finger in der Marmelade erwischt.
»Entschuldigt bitte. Es überkommt mich einfach, ich kann nichts dagegen tun. Ich kann mir noch so fest vornehmen, nicht mehr mit dem Messer in der Wunde zu bohren. Sobald ich den Mund aufmache, weil ich meine, ich hätte etwas zu sagen, passiert genau das .«
»Das kommt alles nur davon, dass du nicht genug aufs Meer hinaussiehst, sabba, mein Lieber«, erwidert Kim und massiert ihm zärtlich den Nacken.
Der alte Yehuda sinnt über die Worte seiner Enkelin nach, als höre er sie zum ersten Mal. Seine Augen verschwimmen hinter einem Schleier aus Grau, durch den die Schemen ferner Tragödien geistern. Eine Zeit lang scheint er nicht mehr zu wissen, wo er ist, hat Mühe, sich zurechtzufinden, und wird erst allmählich, während die Hände seiner Enkelin ihm den Nacken stützen, ein wenig klarer im Kopf.
»Du hast recht , Kim. Ich rede zu viel …« Dann sagt er mit brüchiger Stimme: »Ich werde nie begreifen, warum die Überlebenden eines Dramas sich verpflichtet fühlen, alle Welt glauben zu machen, sie seien mehr zu beklagen als jene, die dabei ihre Haut gelassen haben.«
Sein Blick gleitet über den Sandstrand, taucht in die Wellen ein und verliert sich in der Ferne, während sich seine blasse Hand langsam zu der seiner Enkeltochter hinauftastet.
Zu dritt betrachten wir reglos, jeder vor sich hin schweigend, den Horizont, an dem die Morgenröte tausend Feuer entfacht, wohl wissend, dass es dem neuen Tag so wenig wie seinen Vorgängern gelingt, genügend Licht in die Herzen der Menschen zu tragen.
7.
S chließlich hat Kim mein Auto vom Krankenhaus geholt. Wie es scheint, bin ich dort Persona non grata. Ilan Ros hat es geschafft, die Mehrheit des Pflegepersonals gegen mich aufzuhetzen. Von den Unterzeichnern einer Petition gegen meine Rückkehr haben einige sogar vorgeschlagen, mir die israelische Staatsbürgerschaft abzuerkennen.
Die Haltung von Ilan Ros überrascht mich nicht sonderlich. Er hat seinen jüngeren Bruder, Offizier beim Grenzschutz, vor rund zehn Jahren durch einen Anschlag im südlichen Libanon verloren. Davon hat er sich bis heute nicht erholt. Obwohl wir oft zusammen sind, untersagt er sich zu vergessen, woher ich komme und wessen Blut in meinen Adern fließt. Für ihn bin und bleibe ich trotz meines Könnens als Chirurg und meiner zahlreichen beruflichen und privaten Verbindungen doch immer der Araber – was so viel heißt wie der Mohr vom Dienst und bis zu einem gewissen Grad der potentielle Feind. Am Anfang hatte ich ihn im Verdacht, Anhänger einer Separatistengruppe zu sein, doch ich täuschte mich – er war einfach nur neidisch auf meinen Erfolg. Ich nahm es ihm nicht weiter übel. Das hat ihn auch nicht versöhnlicher gestimmt. Als das viele Lob, das ich für meine Arbeit erntete, ihm auf die Nerven ging, erklärte er meinen Lorbeer zum demagogischen Trick, der darin bestehe, einer Integration Vorschub zu leisten, deren Paradebeispiel ich sei. Der Selbstmordanschlag von Haqirya kam ihm da gerade recht: als Legitimation für das Wiedererwachen seiner alten Dämonen.
»Jetzt führst du schon Selbstgespräche«, überrascht mich Kim.
Auch ihre Frische überrascht mich. Mit ihrem langen schwarzen Haar, ihren großen, schwarz umrandeten Augen wirkt sie wie eine Fee, die dem Jungbrunnen entsteigt. Sie trägt eine weiße Hose, die perfekt passt, und ein hauchdünnes Hemd, das sich den reizvollen Rundungen ihres Busens anpasst. Ihr Gesicht wirkt erholt, ihr Lächeln strahlend. Ich habe den Eindruck, sie nach all den Tagen und Nächten, die wir gemeinsam in einer Art anderem Zustand durchlebt haben, zum ersten Mal bewusst zu sehen. Noch gestern war sie nur ein Schatten, der um meine Sorgen und Probleme kreiste. Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, was sie anhatte, ob sie geschminkt war, ob sie das Haar offen trug oder zu einem Knoten gerafft.
»Man ist nie wirklich allein, Kim .«
Sie schiebt einen Stuhl zu mir hin und nimmt rittlings darauf Platz. Ihr Parfum macht mich fast benommen. Ich sehe ihre durchscheinenden Hände, die die Stuhllehne umklammern, die bleich werdende Haut um die
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