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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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keineswegs stolz darauf, dass er wie ein ungeschlachter Bär aussieht, leidgeprüft durch die paar Zentimeter, die seinem Fuß fehlen – was seinem Gang etwas Schräges verleiht, das die Seriosität und Autorität, die er ausstrahlen will, ernsthaft beeinträchtigt.
    »Ich war hier in der Nähe beim Joggen«, erklärt er mir, als müsse er sich rechtfertigen.
    »Ist doch nicht verboten«, erwidere ich gereizt.
    Ich merke sofort, wie aggressiv ich bin und wie fehl am Platz meine Anspielungen sind, aber seltsamerweise verspüre ich keinerlei Bedürfnis, mich zu bremsen. Man könnte fast meinen, es bereite mir ein gewisses obskures Vergnügen. So obskur wie der Schatten, der auf meiner Seele liegt. So kenne ich mich gar nicht, so grundlos gemein. Aber ich weiß auch nicht, wie ich diese Bosheit in Schach halten soll.
    Kim zwickt mich in den Arm, was Naveed nicht entgeht.
    »Na gut«, brummt er, sichtlich enttäuscht, »wenn ich störe …«
    »Warum sagst du denn so etwas ?« , versuche ich einzulenken.
    Er wirft mir einen grimmigen Blick zu, derart geladen, dass seine Gesichtsmuskeln beben. Meine Frage kränkt ihn fast mehr als meine Bissigkeit. Er baut sich vor mir auf und sieht mir so direkt ins Gesicht, dass ich meine Augen nicht abwenden kann. Er ist sehr wütend.
    »Das fragst du mich, Amin ?« , zischt er mich an. »Wer geht denn hier wem aus dem Weg? Was stimmt hier eigentlich nicht? Habe ich dich, ohne es zu merken, irgendwie verletzt, oder bist du es, der langsam ausrastet ?«
    »Aber nicht im Geringsten! Ich freu mich, dich zu sehen …«
    Er kneift die Augen zusammen. »Seltsam, in deinen Augen ist davon nichts zu erkennen .«
    »Aber es ist die Wahrheit .«
    »Wie wäre es denn, wenn wir alle zusammen etwas trinken gingen ?« , schlägt Kim vor. »Ich lade euch ein. Und du suchst das Lokal aus, Naveed .«
    Naveed willigt ein, bereit, meine Taktlosigkeit von vorhin zu vergessen, aber seine Gekränktheit bleibt. Er atmet tief durch, blickt nachdenklich an uns vorbei und schlägt dann das Zion vor, eine ruhige kleine Café-Bar, nicht weit weg von der Ambulanz, wo es die besten Häppchen weit und breit gibt.
    Während Kim hinter Naveed herfährt, versuche ich zu ergründen, warum ich ausgerechnet zu dem Menschen so aggressiv bin, der als Einziger zu mir gehalten hat, während alle anderen offen über mich hergefallen sind. Ist es wegen der Institution, die er repräsentiert? Seinem Polizeiabzeichen? Dabei ist es alles andere als selbstverständlich für einen Polizisten, weiterhin mit jemandem Umgang zu pflegen, dessen Frau Selbstmordattentäterin ist … Ich entwickele und verwerfe diese Theorien in der Hoffnung, mich nicht zu Überlegungen hinreißen zu lassen, die meine Flanken gänzlich entblößen könnten und mich noch mehr in meiner Qual isolieren. Seltsamerweise kommt es mir jetzt, wo ich mich bewusst zusammenzureißen versuche, so vor, als sei dieses unbezähmbare Bedürfnis, mich daneben zu benehmen, völlig normal. Ist es die Weigerung, mich von Sihems Vergehen gänzlich loszusagen, die mich dazu treibt, mich als Grobian aufzuführen? Wenn dem so ist, wohin geht dann die Fahrt? Was will ich beweisen oder rechtfertigen? Und was wissen wir schon wirklich von dem, was gerecht ist und was nicht? Manche Dinge kommen uns zupass, andere nicht. Ob wir nun im Recht oder Unrecht sind, immer fehlt uns das rechte Gespür für die Dinge. So leben sie halt, die Menschen: nehmen das Schlimmste in Kauf, um ihr Bestes zu erreichen, und wenn es zum Besten steht, wird es ihnen langweilig … Meine Gedanken verfolgen mich, ohne nach meinem Zustand zu fragen. Sie nähren sich von meiner Anfälligkeit, nutzen meinen Kummer aus. Ich bin mir bewusst, dass sie mich langsam, aber sicher aushöhlen, und lasse sie gewähren wie der Wächter, der sich allzu vertrauensselig der Schläfrigkeit überlässt. Meine Tränen haben vielleicht einen Teil meines Kummers ertränkt, aber die Wut ist noch immer da, wie ein Tumor, verborgen, tief in mir drin, oder ein Meeresungeheuer, das in seiner dunklen Höhle lauert, den geeigneten Moment abwartend, um wieder aufzutauchen und seine Umwelt in Angst und Schrecken zu versetzen. Das denkt Kim wohl auch. Sie weiß, dass ich versuche, diesen unverdaulichen Horror, der in meinen Eingeweiden tobt, loszuwerden, und dass meine Angriffslust nur das Symptom eines gewaltigen inneren Drucks ist, der sich dehnt und dehnt, bis der Antrieb stark genug für einen Ausbruch ist. Wenn Kim mich keinen Moment

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