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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Fenster, bizarre Tore. Es ist, als wäre man in einem riesigen Auffanglager, dem Treffpunkt sämtlicher Verdammten dieser Erde, um eine Absolution zu erzwingen, welche die Regeln ihrer Gewährung nicht preisgeben will.
    Auf den Stufen oder einem Schemel vor den Haustürschwellen hocken, auf ihren Gehstock gestützt, um die Stirn die Keffieh geschlungen, die Jacke über ihrer ausgeblichenen Weste geöffnet, abgemagerte Greise mit abwesendem Blick und träumen vor sich hin. Eingemauert in ihr Schweigen, scheinen sie nur ihren Erinnerungen zu lauschen, unberührt vom Radau der kleinen Bengel, die sich kreischend vor ihrer Nase balgen.
    Ich muss mehrmals nach dem Weg fragen, bevor mich ein Junge zu einem großen Haus führt, von dessen Mauern der Putz gebröckelt ist. Er wartet gehorsam, bis ich ihm ein paar Münzen in die Hand geschoben habe, dann springt er davon. Ich klopfe gegen eine alte wurmstichige Holztür, spitze die Ohren. Schlappen schlurfen über den Boden, ein Riegel scheppert, und eine Frau mit verwelktem Gesicht macht mir auf. Ich brauche eine Ewigkeit, um sie wiederzuerkennen: Leila, meine Milchschwester. Sie ist knapp über fünfundvierzig, doch sie wirkt wie sechzig. Ihr Haar ist weiß geworden, ihre Züge sind teigig; sie sieht aus, als wäre sie sterbenskrank.
    Geistesabwesend starrt sie mich an.
    »Ich bin Amin .«
    »Mein Gott!« Sie fährt zusammen, ist mit einem Schlag hellwach.
    Wir fallen einander in die Arme. Während ich sie an mich drücke, spüre ich, wie Schluchzer um Schluchzer aus ihrer Brust hochsteigt und ihren schmächtigen Körper erbeben lässt. Sie macht einen Schritt zurück, betrachtet mich mit tränenüberströmtem Gesicht, rezitiert einen Koranvers zum Zeichen der Dankbarkeit und legt ihren Kopf erneut an meine Schulter.
    »Tritt ein«, sagt sie. »Du kommst gerade recht, um meine Mahlzeit zu teilen .«
    »Danke, ich habe keinen Hunger. Bist du allein ?«
    »Ja. Yasser kommt erst am Abend zurück .«
    »Und die Kinder?«
    »Ach, die sind längst groß! Die Mädchen sind verheiratet, und Adel und Mahmoud stehen auch auf eigenen Füßen .«
    Ein kurzes Schweigen tritt ein, dann senkt Leila den Kopf.
    »Es muss schwer für dich sein .« Ihre Stimme klingt tonlos.
    »Es ist das Schlimmste, was einem Menschen überhaupt zustoßen kann«, bekenne ich.
    »Kann ich mir vorstellen … Ich denke oft an dich seit dem Attentat. Ich weiß, wie sensibel und anfällig du bist, und ich hab mich gefragt, wie jemand, der so dünnhäutig ist wie du, wohl fertig wird mit einer solchen … einer solchen …«
    »Katastrophe«, komme ich ihr zu Hilfe. »Aus dem Grund bin ich auch hier. Um mehr darüber in Erfahrung zu bringen. Ich hatte keine Ahnung, was Sihem da plante. Ehrlich gesagt, ich hatte nicht den leisesten Verdacht. Und ihr tragisches Ende hat mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen .«
    »Willst du dich nicht setzen ?«
    »Nein … Sag mir, in welchem Zustand war sie, so kurz davor ?«
    »Wie meinst du das … ?«
    »Wie sie war? Schien sie sich dessen bewusst zu sein, was sie da tun würde? Verhielt sie sich normal oder irgendwie komisch … ?«
    »Ich hab sie gar nicht gesehen .«
    »Sie war am Freitag, dem 27., in Bethlehem, einen Tag vor dem Attentat .«
    »Ich weiß, aber sie ist nicht lange geblieben. Ich war bei meiner ältesten Tochter. Zur Beschneidung ihres Sohnes. Von dem Attentat habe ich erst im Auto erfahren, das mich nach Hause gebracht hat …«
    Jäh schlägt sie sich mit der Hand auf den Mund, wie um sich daran zu hindern, mehr zu erzählen.
    »Mein Gott, was rede ich denn da !« Verschreckt sieht sie mich an. »Warum bist du nach Bethlehem zurückgekommen ?«
    »Ich hab’s dir schon gesagt .«
    Sie greift sich mit Daumen und Zeigefinger an die Stirn, taumelt leicht. Ich fasse sie um die Taille, damit sie nicht zu Boden knickt, und helfe ihr zum Sofa, das wenige Schritte hinter ihr steht. Sie setzt sich.
    »Amin, mein Bruder, ich glaube, ich bin nicht befugt, über diese Geschichte zu sprechen. Ich schwöre dir, ich habe keine Ahnung, was genau sich da eigentlich zugetragen hat. Wenn Yasser erfährt, dass ich meine Zunge nicht im Zaum gehalten habe, schneidet er sie mir gleich ab. Ich war so überrascht, dich hier auftauchen zu sehen, dass ich mich dazu hinreißen ließ, über Dinge zu reden, die mich nichts angehen. Verstehst du mich, Amin ?«
    »Ich werde so tun, als wüsste ich nichts. Aber ich muss herausfinden, was meine Frau hier in der Gegend zu

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