Die Attentaeterin
empfangen: um dir ein für alle Mal klar zu machen, dass es völlig überflüssig ist, wenn du dich bei uns in der Stadt zum Gespött der Leute machst. Es gibt hier nichts für dich zu holen. Du wolltest einen Verantwortlichen unserer Bewegung treffen. Nun, das ist geschehen. Jetzt wirst du nach Tel Aviv zurückkehren und unser Gespräch ganz schnell vergessen.
Noch etwas: Ich persönlich habe deine Frau nicht gekannt. Sie hat nicht unter unserer Flagge gekämpft, aber wir schätzen ihre Tat außerordentlich .«
Er betrachtet mich mit glühendem Blick. »Eine letzte Bemerkung, Herr Doktor. In deinem Bestreben, deinen Adoptivbrüdern möglichst ähnlich zu werden, verlierst du mit der Zeit den Blick für die Deinen. Ein Islamist ist ein politischer Aktivist. Er hat nur einen Wunsch: einen theokratischen Staat in seinem Land zu errichten und in den vollen Genuss seiner Souveränität und Unabhängigkeit zu gelangen … Ein Fundamentalist dagegen ist ein Dschihadist bis zum bitteren Ende. Er glaubt weder an die Souveränität muslimischer Staaten noch an ihre Autonomie. Für ihn sind das alles nur Vasallenstaaten, die früher oder später in einem einzigen Kalifat aufgehen werden. Denn der Fundamentalist träumt von der einen und unteilbaren Umma, die sich von Indonesien bis Marokko erstreckt, um den Westen, wenn er ihn schon nicht bekehren kann, zu unterwerfen oder zu vernichten … Wir sind weder Islamisten noch Fundamentalisten, Herr Doktor Jaafari. Wir sind nur die Kinder eines verhöhnten und beraubten Volkes, die sich mit dem wenigen, was sie haben, dafür einsetzen, ihr Vaterland und ihre Würde zurückzuerlangen, nicht mehr und auch nicht weniger.«
Er mustert mich prüfend, um zu sehen, ob ich alles verdaut habe. Dann versinkt er wieder in die Betrachtung seiner makellos gepflegten Fingernägel und fährt fort:
»Ich habe deine Frau nie kennen gelernt, was ich sehr bedauere. Sie hätte es verdient, dass man ihr die Füße küsst. Das Geschenk, das sie uns mit ihrem Opfer gemacht hat, ist lehrreich und ermutigend. Ich verstehe, dass du dich hintergangen fühlst. Aber nur, weil du dir der Tragweite ihrer Tat noch nicht bewusst bist. Momentan sträubt sich dein gekränkter Gattenstolz noch dagegen. Eines Tages wird er klein beigeben, und dann wirst du klarer sehen.
Über den Tellerrand hinaus. Wenn deine Frau dir nichts von ihrem Kampf erzählt hat, heißt das nicht, dass sie dich verraten hat. Sie hatte dir nichts zu sagen. Sie hatte niemandem Rechenschaft abzulegen. Da sie ihr Leben Gott anheim gestellt hat … Ich bitte dich nicht, ihr zu verzeihen – was ist schon die Verzeihung eines Ehemanns gegen den Empfang der Gnade Gottes? Ich bitte dich nur, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Die Geschichte geht immer weiter .«
»Ich will aber wissen, warum«, antworte ich beharrlich.
»Warum was? Das ist ihre Geschichte. Eine Geschichte, die dich nicht betrifft.«
»Ich war doch ihr Mann .«
»Das wusste sie wohl. Wenn sie dir nichts anvertrauen wollte, dann hatte sie ihre Gründe dafür. Auf diese Weise disqualifizierte sie dich .«
»Unsinn! Sie hatte mir gegenüber Verpflichtungen. Man lässt seinen Mann doch nicht einfach so im Stich. Jedenfalls nicht einen wie mich. Ich hab mir ihr gegenüber nie etwas zuschulden kommen lassen. Und sie hat mein ganzes Leben zerstört. Nicht nur ihres. Mein Leben und das von siebzehn anderen Menschen, die sie überhaupt nicht kannte. Und da fragen Sie mich, warum ich wissen will?
Nun, ich will alles wissen, einfach alles, die ganze und komplette Wahrheit .«
»Welche? Deine oder ihre? Die einer Frau, die begriffen hat, was ihre Pflicht war, oder die eines Mannes, der glaubt, dass es genügt, einem Drama den Rücken zu kehren, um seine Hände in Unschuld zu waschen? Welche Wahrheit möchtest du wissen, Doktor Amin Jaafari? Die des Arabers, der glaubt, dass er mit einem israelischen Pass aus dem Schneider ist? Die des Quotenmohren vom Dienst, den man alle naselang mit Ehrungen überhäuft und auf Empfänge einlädt, um allen zu zeigen, wie tolerant und aufmerksam man ist? Die von jemandem, der glaubt, wenn er seine Weste wendet, hätte er zugleich seine Haut gewendet und die perfekteste aller Häutungen vollzogen? Ist das die Wahrheit, die du suchst, oder eher die, vor der du fliehst …? Nein, auf welchem Planeten lebst du bloß, mein Herr? Wir sind in einer Welt, die sich jeden Tag, den Gott werden lässt, selbst zerfleischt. Des Abends sammeln wir unsere Toten ein, und
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