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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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des Morgens beerdigen wir sie. Unserem Vaterland wird blindlings Gewalt angetan, unsere Kinder wissen nicht mehr, was das Wort Schule heißt, unsere Töchter haben zu träumen verlernt, seit ihre Märchenprinzen ihnen die Intifada vorziehen, unsere Städte brechen unter Panzerraupen weg, und unsere Schutzheiligen können nur noch die Hände ringen. Und nur, weil du warm und gemütlich in deinem goldenen Käfig sitzt, lehnst du es ab, die Hölle, in der wir leben, zur Kenntnis zu nehmen. Das ist dein gutes Recht, gewiss. Jeder steuert sein Schiff, wie es ihm gefällt. Aber dann komm bitte nicht daher und frag nach denen, die, angewidert von deiner Gefühllosigkeit und deinem Egoismus, nicht zögern, ihr Leben zu geben, um dich zu dir selbst zu erwecken … Deine Frau ist um deiner Erlösung willen gestorben, Herr Jaafari .«
    »Du redest von Erlösung !« Jetzt duze ich ihn auch.
    »Du, der sie am nötigsten hat … Du wagst es, mir von Egoismus zu sprechen, mir, dem man das Liebste, was er hatte, genommen hat …? Du wagst es, mich mit deinen Geschichten von Tapferkeit und Würde voll zu labern, während du sauber in der Ecke hocken bleibst und Frauen und Kinder losschickst, um dir die Kohlen aus dem Feuer zu holen? Du irrst dich gewaltig: wir leben alle auf demselben Planeten, mein Bruder, aber wir logieren nicht unter derselben Adresse. Du hast dich fürs Töten entschieden, ich dafür, Leben zu retten. Was dir der Feind ist, ist mir der Patient. Ich bin weder egoistisch noch gleichgültig, und ich habe genauso viel Selbstachtung wie jeder. Ich will einfach nur mein Stück Leben leben, ohne an das der anderen zu rühren. Ich glaube nicht an Verheißungen, die das Leid glorifizieren und den gesunden Menschenverstand missachten. Ich bin nackt zur Welt gekommen und ich werde nackt von ihr scheiden. Was ich besitze, gehört mir nicht. Nicht mehr als das Leben der anderen. Das ganze Unglück der Menschheit gründet auf diesem Missverständnis: was Gott dir leiht, musst du zurückgeben können. Kein Ding auf Erden gehört wirklich dir. Weder das Vaterland, von dem du redest, noch das Grab, in dem du zu Staub unter Staub wirst.«
    Unablässig rede ich auf ihn ein. Der Kommandeur zuckt nicht mit der Wimper. Er hört mir bis zum Ende zu, den Blick auf seine Fingernägel gerichtet, ohne meine Spuckespritzer von der Wange zu wischen.
    Nach langem Schweigen, das mir endlos vorkommt, zieht er eine Augenbraue hoch, atmet tief durch und blickt mich endlich an.
    »Was ich gehört habe, bestürzt mich, Amin, es zerreißt mir das Herz und die Seele. Wie groß auch immer dein Schmerz sein mag, du hast nicht das Recht, derart frevlerisch zu reden. Du erzählst mir von deiner Frau und hörst nicht zu, wenn ich dir von deinem Vaterland erzähle. Wenn du keins willst, zwinge nicht die anderen dazu, auf das ihre zu verzichten. Jene, die es leidenschaftlich einfordern, geben ihr Leben dafür hin, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Für sie ist es unvorstellbar, von den anderen verachtet, sich selbst verachtend, dahinzuvegetieren. Für sie gibt es nur Selbstbestimmung oder Tod, Freiheit oder Verderben, Würde oder Grab. Und kein Schmerz und keine Trauer wird sie je davon abhalten, für das zu kämpfen, was sie, übrigens zu Recht, als das Wesentliche ihrer Existenz ansehen: die Ehre. › Die Glückseligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst. ‹«
    Er klatscht in die Hände. Die Tür öffnet sich, und der Koloss erscheint. Die Unterredung ist beendet.
    Bevor er mich endgültig entlässt, fügt er noch hinzu:
    »Du machst mir großen Kummer, Doktor Amin Jaafari. Es ist klar, wir haben nicht denselben Weg. Wir könnten noch Monate und Jahre mit dem Versuch verbringen, uns einander verständlich zu machen, und doch würde keiner von beiden auf den anderen hören wollen. Nutzlos, noch weiterzumachen. Fahr nach Hause. Wir haben einander nichts mehr zu sagen .«

12.
    K im hatte recht, ich hätte den Brief doch Naveed geben sollen; er hätte ihn besser zu nutzen gewusst. Sie hatte auch recht, als sie mich vor mir selber warnte, denn von all den Ungeheuerlichkeiten der letzten Zeit war mein Verhalten jene, die sich am schwersten eingestehen lässt. Es hat gedauert, bis ich bereit war, das einzusehen. Ich habe gewaltiges Glück, mit dem Leben davongekommen zu sein – zwar unverrichteter Dinge, nicht gänzlich unbeschadet, aber doch in einem Stück. Das Scheitern dieses Abenteuers wird mir noch lange zusetzen, hartnäckig und

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